Leipziger Volkszeitung zum BND-Bericht
Archivmeldung vom 27.05.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.05.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDank einiger Jungs von "Schlapp und Hut" steckt der BND in der ganz großen Legitimationskrise. Ein mittelmäßiger Dienst - das haben seine teils irrigen Erkenntnisse im Umfeld des Irak-Krieges bewiesen - ist durch mittelmäßiges Personal aus dem mittleren Management außer Kontrolle geraten. Die zugänglichen Teile des Schäfer-Berichtes lesen sich wie ein langatmiger Spionage-Thriller.
Einige Schreiberlinge verschwinden hoffentlich aus den Medien. Die
Manager der Dienste werden entdecken, was Leitung und Verantwortung
bedeutet. Aber die Hauptlast liegt bei den politisch Zuständigen. Sie
haben konsequent neue Weisungen erteilt. Doch keiner hat den Plan,
wie sich mehr Transparenz mit der Wahrung des notwendig Geheimen
verbinden lässt.
Wenn der BND und die Terrorbekämpfer Glück haben, geht es bald
weniger geheim und spektakulär zu. Haben die Herren aus der Branche
Pech, werden Leistung und Ertrag beim BND ebenso hart abgewogen, wie
bei Arbeitslosen das Fordern und Fördern.
Erschreckende Defizite an Führung, an demokratischer Gesinnung und
an der Bereitschaft zur Kontrolle der Kontrolleure erwecken den
Eindruck: Um diesen Dienst wäre es nicht schade. Ein
wissenschaftliches Institut zur Lageanalyse, transparent und
ausgestattet mit allen wichtigen Medien würde genügen. Auf 15 Prozent
veranschlagen Kenner die Informationen, die nachrichtendienstlich
gewonnen werden. Erst daraus entsteht das Milieu, das
charakterschwache Schreiberlinge ebenso anzieht wie Bürokraten mit
fachlichem Feuer, aber ohne Gespür für die Grenzen durch Recht und
Gesetz.
Zwölf Jahre lang haben obergeheime Geheimdienstler BND-kritischen
Journalisten nachgespitzelt, teils entgegen expliziter Weisungen.
Womöglich wäre die Regierung Kohl gestolpert, hätte sich frühzeitig
bewahrheitet, was der Schäfer-Bericht nahe legt: Die oberste Spitze
des Kanzleramtes muss Bescheid gewusst haben über das gesetzeswidrige
Schnüffeltreiben. Im selben Zeitraum haben sich windige Journalisten
nicht an Fakten, Fakten, Fakten gehalten, sondern ergaunerten sich
die Pressefreiheit als Sitzkissen und den BND-Scheck als
Spitzelsalär.
Es ist unverständlich und ein zweiter Angriff auf das
Selbstverständnis eines kritischen aufklärerischen Journalismus, dass
bei jedem politischen Skandal die rückhaltlose Offenlegung aller
Fakten verlangt wird, aber so bald der eigene Fall zum Thema wird,
manche meinen, sie müssten mit Gerichtshilfe die Öffentlichkeit
aussperren.
All das ergibt Stoff genug für einen Untersuchungsausschuss mit
Beweiserhebungsrecht. Dort müssen sich dann auch Geheimdienstler und
Journalisten rechtfertigen. Danach wird sich die Frage beantworten
lassen, was von diesem Bundesnachrichtendienst noch übrig bleiben
muss.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung