Westfalenpost: Bube, Dame, Joker
Archivmeldung vom 29.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHessens Parteien fällt die Wahl schwer Von Bodo Zapp Wie, Koch ist vorne? Das mitternächtliche Überholmanöver der CDU hat gestern viele überrascht, die am langen Wahlabend von einem SPD-Vorsprung in Hessen ausgehen mussten. Was nicht bedeutet, dass die Wahl-Weiterrechnungen umgeschrieben werden mussten, denn klar ist im Grunde nichts.
Bis auf die Bestätigung der alten Weisheit, dass man das Fell des Bären nicht verteilen sollte, bevor er erlegt ist. Roland Koch habe den Wählerauftrag zur Regierungsbildung erhalten, sagt Kanzlerin Merkel. Mehrheit sei Mehrheit, und sei sie noch so hauchdünn. Die Mehrheit habe deutlich gemacht, dass sie Koch nicht mehr haben will, folglich werde die "gefühlte" Siegerin Andrea Ypsilanti mit den anderen Parteien sprechen, sagt Kurt Beck. Recht haben beide, aus ihrer Sicht. Ein wenig erinnert die Deutung des SPD-Chefs allerdings an Schröders TV-Auftritt nach der Bundestagswahl, als er Merkel die Berechtigung zur Kanzlerschaft absprach, ungeachtet der Zahlen. Man mag Roland Koch nicht sonderlich sympathisch finden und auf die satte Stimmen-Abstrafung verweisen - prozentual hat er die Kurve noch soeben bekommen. Andrea Ypsilante, den meisten außerhalb Hessens zuvor nur als etwas farblose SPD-Rote bekannt, ist nach den flüchtigen TV-Eindrücken des Wahlabends durchaus befähigt für das Spitzenamt im Hessenland. Aber auf einen unstrittigen Ministerpräsidentin-Auftrag kann sich die Senkrechtstarterin auch nicht berufen. Es wird schwierig in Hessen, für alle. Und es wird sich hinziehen mit der Partnerfindung. Die Karten sind kompliziert gemischt. Bube, Dame: Den Königsweg kennt noch keiner. Eine Joker-Rolle schreibt die SPD der FDP zu: Dreierbund mit den Grünen, das würde passen. Nur will die FDP nicht mitspielen. Noch? Rot-Dunkelrot, Grün ist auch gut vorstellbar, findet die Linke. Da schüttelt sich die SPD. Wie lange? Schwarz-Gelb-Grün: Auch vorstellbar, andererseits sorgt der Gedanke für Magenschmerzen. Wer die Wahl hinter sich hat, hat die Qual. Es geht ja nicht nur um vorherige Festlegungen, und im Falle der Meinungs-"Aktualisierung" um Täuschungsvorwürfe. Es geht vor allem um deutliche Unterschiede in der Sache. Schule, Energie: Da passt inhaltlich nicht zusammen, was rechnerisch zusammen kommen könnte. Also große Koalition, mit Personalkarussell? Koch löst als Wirtschaftsminister in Berlin Glos ab, der ins Verteidungsministerium wechsel, dessen bisheriger Chef Jung nach Hessen zurückkehrt und Ministerpräsident wird - da können Schwindelgefühle aufkommen. Aber käme auch Freude auf? Bis es so weit sein könnte, wird noch viel Wasser Rhein hintunter fließen. Schließlich sind auch taktische Gesichtspunkte zu bedenken, die schon die "große" Wahl 2009 betreffen. In Wiesbaden selbst gibt es zunächst keine Partei, die aus starker Position heraus verhandeln kann. Denn die die CDU hat das schlechteste Ergebnis der letzten 40 Jahre erreicht und die SPD ihr Zweitschlechtestes.
Quelle: Westfalenpost