Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Bundespräsidentenwahl
Archivmeldung vom 23.05.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAm Freitag hat Gesine Schwan ihren 66. Geburtstag gefeiert, und an diesem Samstag feiert Horst Köhler seine Wiederwahl als Bundespräsident. Letzteres ist noch eine Prognose. Wird sie wahr, wundert's niemanden. Kommt es anders, dürfte die Bundesrepublik just zu ihrem 60. Geburtstag in helle Aufregung geraten. Nie sind die Mehrheitsverhältnisse bei der Wahl eines deutschen Staatsoberhauptes knapper gewesen.
613 Stimmen sind zur absoluten Mehrheit in der Bundesversammlung nötig. CDU/CSU, FDP und Freie Wähler bringen es auf 614 Stimmen. Da ist Disziplin gefragt. Damit jedoch könnten sich einige schwer tun. Köhlers wiederholte Kritik am politischen Betrieb ist nicht vergessen. Der Präsident biedere sich mit populistischen Parolen beim Bürger an, fand so mancher auch in CDU und CSU. Eine Denkzettelwahl aber könnte unabsehbare Folgen für die politische Stimmung haben. Gerade im Superwahljahr. Anders ausgedrückt: Horst Köhler muss klar gewinnen, sonst stehen die Union und Angela Merkel als Verlierer da. Das gilt umso mehr, als die Meinung in der Bevölkerung eindeutig ist. Würde der Bundespräsident direkt gewählt, könnte Köhler mit einer Zustimmung von bis zu 70 Prozent rechnen. Kein Wunder, dass die Union nervös ist. Deshalb auch werden diesmal deutlich weniger Prominente an die Wahlurne geschickt als noch vor fünf Jahren. Gloria lässt grüßen. 2004 hatte die Fürstin von Thurn und Taxis für die CSU abgestimmt und prompt Gesine Schwan gewählt. Die ehemalige Präsidentin der Universität Frankfurt/Oder fordert nun erneut Horst Köhler heraus. Zwei Kandidaten kommen hinzu. Schauspieler Peter Sodann, der für die Linke antritt, und Sänger Frank Rennicke, der für die rechtsextremen Parteien NPD und DVU kandidiert, sind aber ebenso chancenlos wie ungeeignet. Gesine Schwan hat nichts unversucht gelassen, um für sich Stimmung zu machen. In ihrem ganz persönlichen Wahlkampf - auch das ein Novum bei Bundespräsidentenwahlen - hat sie über soziale Unruhen schwadroniert und das Unrecht in der DDR relativiert. Sie hat die Linke bei Laune gehalten und die Grünen hofiert. Noch in dieser Woche soll Schwan vermeintlich unzufriedene Unionsabgeordnete per Telefon umworben haben. Nützen dürfte ihr das alles nichts. Aber es könnte Köhler schaden. Wird im Reichstag ein dritter Wahlgang nötig, ist die Peinlichkeit perfekt. Das würde der SPD gefallen. Ein Sieg Schwans hingegen käme eher ungelegen. Viele Sozialdemokraten und manche Grünen sind mit Köhlers Amtsführung zufrieden. Sie halten ihn für den besseren Präsidenten. Vor allem aber: Zieht Gesine Schwan ins Schloss Bellevue ein, ist Rot-Rot-Grün in aller Munde. Parteichef Franz Müntefering und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hätten in puncto Koalitionsaussage ein Glaubwürdigkeitsproblem. Seinen Spaß daran könnte vor allem einer haben: Kurt Beck, der beinahe schon vergessene Ex-Vorsitzende der SPD.
Quelle: Westfalen-Blatt