BERLINER MORGENPOST: Geld gehört an Schulen, nicht an die Jobcenter
Archivmeldung vom 04.12.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas Geschacher geht weiter. So wie es aussieht, wird die Reform des Hartz-IV-Gesetzes nicht wie geplant am 1. Januar in Kraft treten. Denn die SPD wird im Bundesrat das Vorhaben aufhalten. Und auch die Grünen, auf deren Stimme als Juniorpartner der saarländischen Landesregierung es in der Länderkammer entscheidend ankommt, werden wohl Nein sagen.
Aus Berliner Sicht kann man nur hoffen, dass es noch Korrekturen geben wird. Dabei geht es nicht um die umstrittene Berechnung des Regelsatzes für Kinder oder die Frage, ob nun fünf Euro mehr pro Monat für Erwachsene gerecht sind oder nicht. Wichtiger für die Hartz-IV-Hauptstadt ist das Bildungspaket zur Förderung armer Kinder. Was Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in bester Absicht auf den Weg bringen will, halten Praktiker sowohl in den Jobcentern als auch in den Kommunen für ein Desaster. Wenn die Bundesregierung ihre Verantwortung für Kinder von Hartz-IV-Empfängern wahrnimmt, ihnen Sportverein, Nachhilfe, Musikkurs und Schulessen finanziert, ist das zwar zu loben. Aber das Geld über die schon mit der Betreuung der Langzeitarbeitslosen oft überforderten Jobcenter zu leiten, ist unsinnig. Die Mitarbeiter dort geben selber zu, dass sie keine Ahnung von der Förderung von Kindern haben. In ihrer Not schaffen sie Antrags- und Vertragsungetüme. Die Klagewelle bei den Sozialgerichten wird anschwellen. 740 Millionen Euro Fördergeld mit einer 130 Millionen Euro teuren Verwaltung unter die Leute zu bringen, ist ein Missverhältnis, das jedem Bekenntnis zum Bürokratieabbau Hohn spricht. Das ganze Manöver ist der Angst vor dem Föderalismus geschuldet. Die Arbeitsministerin nimmt den komplizierten Umweg über die Jobcenter, weil die Bundesregierung sich angeblich nicht direkt an den Schulen, die Ländersache sind, einmischen darf. Dabei wäre es viel einfacher, den Kommunen als Schulträgern Geld für das Schulessen für Hartz-IV-Kinder zu überweisen oder Schulen mit einem hohen Anteil armer Kinder aus einem Sonderfonds Geld zu geben, damit sie qualifizierte Nachhilfe für Problemschüler anbieten können. Auch Sportkurse und Musikunterricht kann niemand besser zuweisen als die Lehrer, die jeden Tag mit den Kindern arbeiten und die auch in von der Leyens Jobcenter-Modell gefordert sind, in ausufernden Gutachten darzulegen, warum ausgerechnet Michael oder Achmed einen Gutschein für Sport, Musik oder Nachhilfe erhält. Der Ministerin fehlt die Perspektive einer sozial schwer belasteten Großstadt. In Berlin kommen auf jedes Jobcenter mehrere 10.000 arme Kinder. Wie die Mitarbeiter den politisch gewünschten Ansturm bewältigen sollen, wenn sie gleichzeitig noch die Arbeitslosen besser für reguläre Jobs qualifizieren und die zu hohe Fehlerquote bei den zugestandenen Leistungen zurückfahren müssen, weiß niemand. Aber die Bundespolitik lernt offenbar nichts. Erst führte Rot-Grün die Hartz IV-Reform in einer Hau-Ruck-Aktion ein und sorgte wegen der vielen Anlaufprobleme und sinnlosen Beschäftigungsmaßnahmen für enormen Frust unter den Arbeitslosen. Schwarz-Gelb wiederholt denselben Fehler. Diesmal mit den Kindern.
Quelle: BERLINER MORGENPOST