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WAZ: Zeit für ein bisschen Richtlinienkompetenz

Archivmeldung vom 07.10.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.10.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Der Bundeskanzler hat die Richtlinienkompetenz, auch wenn er eine Frau ist, hatte Merkel ihrem ewigen Widersacher Edmund Stoiber erklärt, einige Wochen bevor sie Regierungschefin wurde. Das ist jetzt ein Jahr her. Heute muss man sich fragen, was es mit dieser Richtlinienkompetenz eigentlich auf sich hat, um welche Richtlinie es dabei geht, und wie sich die Kompetenz bemerkbar macht.

Die Fabrikation einer Gesundheitsreform, die Deutschland einen Sommer lang erleiden musste, hat zwar keinen verständlichen Entwurf ergeben, aber zumindest die politische Konstellation offen gelegt. Die Opposition, die im Bundestag kaum mehr Beachtung findet, ist von einer Opposition innerhalb der Großen Koalition abgelöst worden. Die Regierungsparteien kämpfen gegeneinander und die Union gegen sich selbst, CSU gegen CDU und CDU-Ministerpräsidenten gegen die Bundeskanzlerin.

In diesem Salat aus Machtinteressen kann eine Richtlinie leicht verloren gehen. Gerade deshalb müsste Merkel versuchen, ihre Positionen nicht immer erst als Zweite, Dritte oder Letzte zu bestimmen. Als CDU und SPD ihre Debatten über die Grundsatzprogramme eröffneten, formulierte Kurt Beck eine Orientierung für seine Partei. Merkel wird es vielleicht später auch tun, überließ aber zunächst Jürgen Rüttgers die Profildiskussion. Als der Einsatz im Libanon auf Deutschland zukam, war es Beck, der sich für die Beteiligung der Bundeswehr aussprach. Merkel holte es später nach. Als BenQ die Handysparte fallen ließ, telefonierte Beck mit Kleinfeld. Merkel mahnte Siemens Tage später zu Verantwortung.

Im Ausland kann Merkel ihre Positionen vertreten, aber im Inland gelingt es ihr nicht. Zweifelsohne muss sie in einer Großen Koalition eine moderierende Funktion ausüben, was aber nicht bedeutet, dass immer die anderen sich eine Richtung ausdenken, dass die Bundeskanzlerin sich irgendwann anschließt und am Ende die angefaulten Kompromisse verteidigt. Allmählich wird es Zeit für ein bisschen Richtlinienkompetenz, andernfalls stärkt Merkel ihre Gegner in der eigenen Partei, während die FDP in nachgerade zudringlicher Weise die SPD umwirbt.

Ein Buch über Merkels Probleme gibt es auch schon. "Die gefesselte Kanzlerin" von Manfred Lahnstein, der früher einmal Kanzleramtschef unter Helmut Schmidt (SPD) war. Der Sozialdemokrat wird sein Werk am kommenden Dienstag in interessanter Koalition mit dem Liberalen Otto Graf Lambsdorff in Berlin vorstellen.

Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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