Lausitzer Rundschau: zu: Zur Eskalation des Konflikts um die Mohammed-Karikaturen
Archivmeldung vom 03.02.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAls Ariel Scharon im September 2000 den Tempelberg in Jerusalem bestieg, da wusste er, dass dies in den Augen der Palästinenser eine Provokation darstellen würde. Doch der damalige israelische Oppositionspolitiker beharrte darauf, der Gang sei sein gutes Recht – und löste so die zweite Intifada in den Palästinensergebieten aus, die Hunderten das Leben kostete.
Scharons
Kalkül aber ging auf: Ein halbes Jahr später war er Premierminister.
Es ist nicht schwer, die Parallelen zu dem sich derzeit täglich
verschärfenden Konflikt zu erkennen, den die dänische Zeitung
Jyllands-Posten in Gang gesetzt hat. Auch hier stand am Anfang eine
bewusste Provokation – der Abdruck von Karikaturen des Propheten
Mohammed. Und auch hier ist ein Kalkül aufgegangen: Eigenen Angaben
zufolge wollte das rechtskonservative Blatt mit der Veröffentlichung
der Zeichnungen im September 2005 ein Zeichen gegen eine angebliche
Selbstzensur in den Medien setzen – und hatte, zunächst vergeblich,
darauf gehofft, dass andere Zeitungen die Karikaturen ebenfalls
drucken würden. Jetzt – nachdem ein Proteststurm aus der islamischen
Welt dem Thema eine Bedeutung gegeben hat, die es von Anfang nicht
verdiente – tun das auch einige. Kein Wunder, dass sich der
Chefredakteur von Jyllands Posten, Carsten Juste, gestern darüber
freute, dass nun in Europa passiere, wozu sich die anderen Blätter in
Dänemark vier Monate lang nicht bequemen konnten. Wer mit weniger
missionarischem Sendungsbewusstsein ausgestattet ist, dürfte diese
Freude kaum teilen. Aus der zweifelhaften Aktion einer einzelnen
Zeitung ist ein hoch gefährlicher Konflikt geworden. Inzwischen
nämlich geht es ums Grundsätzliche. Meinungsfreiheit gegen
Gottesfurcht, Aufklärung gegen Mittelalter, Okzident gegen Orient –
und allerorts wird bedenkenlos das Öl eimerweise ins Feuer gekippt.
Von Islamabad bis Gaza werden Hass und diffuse
Ungerechtigkeitsgefühle gegenüber dem Westen mobilisiert. Und in
Europa erklären wackere Kämpfer für die Pressefreiheit den Abdruck
der umstrittenen Karikaturen bereits zur „journalistischen Pflicht“.
Wer so denkt, vergisst allerdings, warum Jyllands Posten am Anfang
kaum Mitstreiter fand: Zur Pressefreiheit gehört auch die Freiheit,
aus guten Gründen auf die Veröffentlichung bestimmter Beiträge zu
verzichten. Man muss nicht jedes gute Recht auch nutzen.
Quelle: Pressemitteilung Lausitzer Rundschau