WAZ: Merkel trifft Putin: Schwierige Verständigung
Archivmeldung vom 16.10.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWeil Wladimir Putin die westlichen Tischmanieren durchaus beherrscht und nur selten absichtsvoll verletzt, tritt er im dunklen Staatsanzug auf und sagt artige Sätze. Seine Muskeln hat er der Welt bereits veranschaulicht, auf Fotos, die ihn mit bloßem Oberkörper und Gewehr zeigen, sowie in markigen Reden.
Die höflichen
Botschaften des russischen Präsidenten könnte man mit Untertiteln
versehen. Er wisse gar nicht, was es im deutsch-russischen Verhältnis
zu verbessern gäbe. (Untertitel: Wirtschaftsbeziehungen reichen
vollkommen aus. Der Rest geht euch nichts an.) Auch nach dem
Machtwechsel werde Kontinuität aufrechterhalten. (Ich werde
Ministerpräsident oder bleibe anderweitig an der Macht.) Dem Iran
könne man keine Angst einjagen. (Mir auch nicht.)
Politische Verständigung im deutschen Sinne ist derzeit nicht
möglich, woraus Angela Merkel die Konsequenz zieht: Man spricht
wirtschaftlich. Jenseits aller Bekenntnisse zur Bedeutung der
strategischen Partnerschaft hat die Kanzlerin die Wahrheit an einer
Stelle benannt. "Das Herzstück unserer Zusammenarbeit ist die
wirtschaftliche Zusammenarbeit." Das wird schön illustriert durch den
Kaufvertrag, mit dem Eon die Mehrheit am russischen Stromerzeuger
OGK-4 übernimmt.
Dass Europa und Russland sich wirtschaftlich enger verflechten
und zugleich politisch auseinanderstreben, erregt im Westen
Besorgnis. Putins Machtbewusstsein stützt sich dabei nicht allein auf
den Reichtum des russischen Bodens, sondern auch auf das Bewusstsein,
dass man sein Land für die Lösung internationaler Konflikte benötigt.
Bei aller Besorgnis aber muss Europa sich eingestehen, dass es seinen
Einfluss auf das Riesenreich weit überschätzt hat. Auch daher rührt
ein Teil der Enttäuschung über die Entwicklung in Russland. Um die
richtige Relation zu finden, muss man fragen, welchen Einfluss Europa
etwa auf die USA, auf China oder Indien ausübt.
Putin hat in der Vergangenheit in zuweilen grober Ausdrucksweise erklärt, dass Russland auf der Weltmachtbühne mitzuspielen gedenkt, und dass man von Provokationen besser absehen sollte. Wenn Merkel in Russland über Menschenrechte spricht oder zu Chinas Ärger den Dalai Lama empfängt, kommt das zwar im Inland gut an, aber nicht immer profitiert das diplomatische Außengeschäft davon, wie Peking gerade demonstriert. Die Kanzlerin hat auf öffentliche Kritik an Putins Demokratievorstellungen diesmal verzichtet, möglicherweise mit dem Blick auf die Konfliktfelder Iran und Kosovo.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung