Schwäbische Zeitung: Recht und Verpflichtung
Archivmeldung vom 29.10.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNormalerweise zieht man zu einem Jubiläum Bilanz. In diesem Fall bedeutet das: 50 Jahre türkische Einwanderung in Deutschland - hat sich das gelohnt? Abgesehen von der Tatsache, dass die Frage in dieser Einfachheit kaum zu beantworten ist, ist sie falsch gestellt, denn sie impliziert eine Unmöglichkeit. Ob der Döner-Mann um die Ecke oder der türkische Mitspieler im Sportverein wirklich nötig sind - kein rationaler Mensch denkt in solchen Kategorien. Die Frage, ob man die Zuwanderung wieder rückgängig machen sollte, ist schlicht unsinnig.
Das türkisch-deutsche Zusammenleben in Deutschland ist Realität. Die Einwanderung der Türken, die man als Arbeitskräfte geholt hat und nach getaner Arbeit eigentlich wieder nach Hause schicken wollte, ist nicht rückgängig zu machen. Türken und Deutsche, Deutsche und Türken "sind einander Schicksal geworden, bucklige Verwandtschaft", wie es die "Zeit" schreibt. Das mag der eine begrüßen, der andere ablehnen - tolerieren muss es jeder Bürger der Bundesrepublik. Und wenn die Gruppe derer künftig wächst, die die Tatsache der türkischen Einwanderung mit Kopf und Herz annehmen, wird das Verständnis zwischen Türken und Deutschen wirklich wachsen.
In anderer Hinsicht bietet das Jubiläum jedoch sehr wohl Anlass, Bilanz zu ziehen - eine Bilanz der Integration. Die fällt durchwachsen aus - und zwar nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass beide Seiten, Türken und Deutsche, Deutsche und Türken, lange Zeit nicht wirklich verstanden haben, dass sie einander schon lange Schicksal und "bucklige Verwandtschaft" geworden waren.
Deutsche und Türken leben gemeinsam in einer Republik, die sich auf die Bestimmungen und den Geist des deutschen Grundgesetzes beruft. Wer das beherzigt - die Realität des Zusammenlebens und eben diesen Geist der Grundrechte -, der hat den Schlüssel für funktionierende Integration in der Hand: Allein aus dem Artikel 1 Grundgesetz "Die Würde des Menschen ist unantastbar" erwächst Recht und Verpflichtung - für beide Seiten.
Quelle: Schwäbische Zeitung (ots)