Leipziger Volkszeitung zu Papst/Türkei
Archivmeldung vom 29.11.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.11.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAuch wenn immer wieder betont wird, dass der Besuch von Papst Benedikt XVI. in der Türkei einen religiösen Hintergrund hat, lassen sich die politischen Dimensionen der Visite nicht leugnen.
Handlungen und Äußerungen des Oberhaupts der größten
christlichen Kirche laufen stets öffentlichkeitswirksam unter
weltweiter Beurteilung ab. Ob sie es sein sollen oder nicht, sie sind
Staatsbesuche. Doch werden sich die viel zu hoch geschraubten
politischen Erwartungen an den Papst-Besuch sicher nicht erfüllen.
Benedikt kann und wird keine Gräben zwischen Christentum und Islam
füllen.
Dabei ist er weder auf Kreuzzug noch auf Versöhnungstour. Nach seinen
Regensburger Äußerungen zu Gewalt und Islam hat er mehrfach seine
Intention interpretiert, versucht die Wellen der Empörung in der
islamischen Welt zu glätten. Dies tut er auch im Land am Bosporus.
Wichtiger jedoch sind ihm die Beziehungen zur orthodoxen Kirche von
Konstantinopel, die Entfaltungsmöglichkeiten von Christen in einer
islamisch geprägten Welt.
Mit seinem halbherzigen Rückzieher von der Ablehnung des EU-Beitritts
der Türkei hat Benedikt zur Klimaverbesserung beigetragen. Und um die
ist nicht zuletzt auch die Ankaraer Regierung bemüht, nachdem die
finnische EU-Präsidentschaft die Vermittlungsversuche in der
Zypernfrage für gescheitert erklärte. Die Beitrittsverhandlungen
könnten so schon bald auf Eis gelegt werden. Ministerpräsident
Erdogan brauchte deshalb den gemeinsamen Auftritt mit dem Papst, um
der europäischen Öffentlichkeit guten Willen und Dialogbereitschaft
zu signalisieren. Ein 20-Minuten-Gespräch zwischen Tür und Angel auf
dem Ankaraer Flughafen stellt allerdings keinen ernsthaften Versuch
dar, sich gegenseitig zu verstehen oder gar anzunähern.
Und Themen hätte es genug gegeben für einen wahrhaften Dialog.
Angefangen bei der Aufarbeitung der beiderseits nicht nur rühmlichen
geschichtlichen Entwicklung. Der von Benedikt dem Islam bescheinigten
Friedfertigkeit stehen in der Realität aber auch Hass und Terror
einer gefährlichen muslimischen Minderheit entgegen. Hier muss die
Verantwortung politischer und religiöser Führer ansetzen. Ebenso bei
der Behandlung von Andersgläubigen. Selbst wenn die Türkei eines der
fortschrittlichsten islamischen Länder ist, die Rechte von Christen
werden arg beschnitten. Auch das ein Fakt, der einem schnellen
EU-Beitritt momentan entgegensteht.
Mehr als ein paar versöhnliche Gesten stehen nicht auf der Habenseite
des Papst-Besuches. Missverständnisse zwischen Christentum und Islam
bleiben, die Türkei und Europa werden sich weiter misstrauisch
beäugen.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung