WAZ: Fünf Jahre Agenda 2010
Archivmeldung vom 14.03.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs gibt den Lehrberuf des Bundeskanzlers nicht, hat Gerhard Schröder gesagt, nachdem er nicht mehr Bundeskanzler war, und er hat Recht. Bundeskanzler ist ein Beruf, der in Zeiten der Globalisierung mehr Wagemut als Erfahrung erfordert, schlicht weil Erfahrung aus Vergangenem nur bedingt auf Ungewissheiten der Zukunft übertragen werden kann.
Geradezu überwagemutig hat Schröder sich vor fünf Jahren
entschlossen, mit der Agenda 2010 das Land zu reformieren. Und die
SPD. Der Kanzler wollte den Sozialstaat finanzierbar gestalten und
Menschen aktivieren, mehr Verantwortung für sich selbst zu
übernehmen. Er wollte die oppositionsverliebte SPD in eine
Regierungspartei umwandeln und sie aktivieren, mehr Verantwortung für
das Land zu übernehmen. Für das, was Schröder gelungen ist, sprechen
wirtschaftliche Fakten. Für das, was ihm misslungen ist, vielleicht
misslingen musste, spricht der Zustand seiner Partei. Die Agenda 2010
war mit handwerklichen Fehlern behaftet. Korrekturen gehören zum
Geschäft, weil im Grunde das ganze Regieren im ständigen Korrigieren
all dessen besteht, was nicht funktioniert. Einen grundsätzlichen
Fehler aber hat die SPD nie korrigiert, und der liegt in der
Kommunikation. Erstens haben die regierenden Sozialdemokraten
Notwendigkeit und Zielsetzung der Agenda nicht erklärt. Zweitens
haben sie ihr Reformprojekt im verzweifelten Kampf mit der eigenen
Partei nach dem Prinzip "alles oder nichts" in den Status der
Unantastbarkeit erhoben.
Die Agenda wurde zum Symbol für die Zerrissenheit der Partei, und
seit fünf Jahren reiben sich rechte und linke Sozialdemokraten nach
dem Prinzip "alles oder nichts" entweder stolz oder wütend an ihr
auf. Damit ist die SPD, die Schröder in die Moderne führen wollte, in
der Vergangenheit gefangen. Und zwar ohne den Kanzler, der führen
konnte, (momentan) ohne Franz Müntefering, der führen kann, und mit
Kurt Beck, den die Überforderung mal hierhin und mal dorthin führt.
Ein Produkt dieser Zerrissenheit, die Linkspartei, treibt mit großem
Erfolg den Keil tiefer zwischen die Flügel der SPD. Dabei müsste
gerade die Linkspartei linken Sozialdemokraten als Lehrbeispiel
dienen: Diese Protestpartei ohne wirtschaftlichen Verstand wird keine
Verantwortung für Menschen in Not tragen, schließlich lebt sie mit
absurden Versprechungen von der Not vieler Menschen. Die SPD verfügt
über Kompetenz. Sie müsste sich aber mit sich selbst auf ein Ziel
verständigen: Mehr Verantwortung wagen.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Angela Gareis)