Westdeutsche Zeitung: Die uns regieren - unten durch
Archivmeldung vom 02.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNicht die Demokratie steht in der Kritik. Die meisten Deutschen halten sie für die beste aller denkbaren Staatsformen - im Prinzip. Aber die demokratischen Institutionen, die uns regieren - die sind bei den Menschen unten durch, wie nie zuvor.
Und zwar nicht nur bei den Ostdeutschen, den scheinbar ständig
Unzufriedenen, sondern auch bei jedem zweiten Wessi, wie eine
Untersuchung der Uni Leipzig glauben macht.
Umfragen dieser Art sind Momentaufnahmen. Die Bürger kommen
schnell zu ihrem Urteil: Eigenheimzulage weg, Sparerfreibetrag
gekürzt, Pendlerpauschale reduziert dafür höhere Mehrwertsteuer,
mehr Krankenkassenbeitrag, galoppierende Heizkosten. Das hatte man
sich nicht erhofft, als vor einem Jahr die Große Koalition die Ärmel
aufkrempelte. Laut Umfrage erwarten nur noch 16 Prozent der Wähler,
dass diese Koalition die Probleme löst. Die Koalition steht wahrlich
vor einer Herkulesaufgabe. Wer angesichts einer alternden
Gesellschaft Arbeit, Sozialleistungen und Gesundheitsfürsorge gerecht
verteilen will, kann sich nicht aus einem Rezepte-Zettelkasten
bedienen. Das muss, wer eine Regierung führt, deutlich sagen. Führung
aber lässt Bundeskanzlerin Merkel jetzt, wo es bei der
Gesundheitsreform drauf ankommt, in erschreckender Weise vermissen.
Die Koalitionspartner nehmen das Heft des Handelns in die Hände. Die
Ministerpräsidenten gehen über Tische und Bänke. Die Kanzlerin hat
kaum mehr zu bieten als Ratlosigkeit. Was fehlt, ist ein Machtwort.
In dieser Woche soll die Gesundheitsreform unter Dach und Fach gebracht werden. Angela Merkel muss die Antwort auf die Frage geben: Wer regiert eigentlich dieses Land? So viel steht fest: Die heiße Nadel war noch nie ein solides Handwerkszeug. Die nächste Umfrage kommt bestimmt.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Zeitung