General-Anzeiger: Zur Flutkatastrophe in Pakistan
Archivmeldung vom 16.08.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn Sachen Spendenbereitschaft gehören die Deutschen zur Weltspitze. Das war Weihnachten 2004 so, als der Tsunami im Indischen Ozean Hunderttausende tötete, und das war zu Jahresbeginn so, als ein fürchterliches Erdbeben Haiti verwüstete. 200 Millionen Euro spendeten die Deutschen innerhalb kurzer Zeit für die Überlebenden in dem Karibikstaat. Und jetzt?
Die Fluten in Pakistan haben 20 Millionen Menschen obdachlos gemacht. Die Vereinten Nationen sprechen von einer beispiellosen humanitären Katastrophe. Doch aus Deutschland kommt bislang nicht einmal ein Hundertstel jener Spenden, die für Haiti bereitgestellt wurden. Wie ist das zu erklären? Offensichtlich kommen mehrere Faktoren zusammen. Pakistan ist weit weg, räumlich und emotional. Wir kennen es nur als Problemland: Die Regierung ist autoritär, das Militär brutal; die Anfeindungen mit Indien nehmen kein Ende; das Staatswesen ist labil, Terroristen finden hier leicht Unterschlupf; es besteht die latente Gefahr, dass die Atombomben Pakistans in falsche Hände geraten; zudem haben in vielen Regionen die Taliban das Sagen. Wenn hier noch eine Naturkatastrophe dazukommt, dann wirkt das auf uns weniger dramatisch, als wenn ein sonst harmloser Sommer-Sonne-Strand-Staat betroffen ist. Hinzu kommt, dass die Katastrophe in Pakistan - im Gegensatz zu einem Erdbeben oder einem Tsunami - eher schleichend daherkam und bislang nicht so medienwirksam viele Todesopfer forderte. Außerdem stand und steht sie in Konkurrenz zu anderen dramatischen Ereignissen: der Ölpest im Golf von Mexiko, den Waldbränden in Russland und nicht zuletzt zu den Fluten im Osten Deutschlands, die uns im Wortsinne einfach näher sind. Manche Menschen sind schlicht überfordert, wenn die 15-Minuten-Tagesschau 13 Minuten lang nur Katastrophenbilder sendet. Wir alle werden dadurch desensibilisiert. Eine fatale Entwicklung! Auch in den meisten Medien erreicht Pakistan derzeit nicht die Aufmerksamkeit, die es eigentlich verdient hätte. Die großen Fernseh-Spendengalas, im Falle Haitis noch eine Selbstverständlichkeit, bleiben aus. Wer nun aber allzu schnell über die Medien schimpft, der blicke einmal ins Internet und prüfe, wie Facebook oder Twitter Pakistan behandeln - jene sozialen Netzwerke also, die allein durch ihre Nutzer bestimmt werden. Das Thema spielt auch dort nur eine untergeordnete Rolle. Es wird Zeit, dass wir unsere Sinne schärfen für die wirklich wichtigen Dinge auf der Welt. Die Medien müssen verstärkt berichten, und die Mediennutzer sollten vermehrt hinsehen. Und bei wem Mildtätigkeit im Einzelfall keine ausreichende Motivation darstellt, der denke noch einmal an das Atomwaffenarsenal Pakistans. Schon aus egoistischen Erwägungen heraus sollte jeder von uns ein Interesse daran haben, dass dort nicht auch jeder Rest von Stabilität in den Fluten untergeht.
Quelle: General-Anzeiger