Lausitzer Rundschau: Fehler und Affären versanden in Brandenburg
Archivmeldung vom 25.04.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittVerkehrte Welt, kafkaeskes Brandenburg: 100 000 Hausbesitzer sollen jetzt für Abwasseranschlüsse zahlen, obwohl ihre Grundstücke schon seit Jahrzehnten an die Kanalisation angeschlossen sind.
Sie sollen nachträglich an den Millionen-Kosten der nach 1990 in die Mark geklotzten Großkläranlagen beteiligt werden, was damals versäumt worden war. Zahlungsbescheide über Tausende Euro - eineinhalb Jahrzehnte zu spät? Und das alles für längst finanzierte, vom Land einst mit Millionen und Abermillionen geförderte Anlagen? Merkwürdig, dass solch abenteuerliche Geschichten immer in Brandenburg passieren: Da war die Trennungsgeldaffäre, bei der höchste Richter, Staatsanwälte und Justizbeamte zu Unrecht Tausende Euro kassierten. Oder der Bodenreform-Skandal, bei dem sich das Land "sittenwidrig" Zehntausend fremde Grundstücke einverleibte. Da ist die Unsicherheit von 7500 Lehrern, die das Land rechtlich fragwürdig zu "Teilzeit-Beamten" ernannte. Und das noch nicht korrigierte, obwohl alle längst volle Stunden lehren und ein Fiasko vor dem Bundesverwaltungsgericht unausweichlich ist. Das hat nichts miteinander zu tun? Das Grundmuster ist gleich. Stets geht es um Altlasten aus der Stolpe-Ära, die das Land wohl noch ewig einholen werden. Wenn sie bekannt werden, ist der Umgang klassisch: Als Ouvertüre gibt es eine kurze Phase der Betroffenheit, des Aktionismus, der allgemeinen Aufregung, begleitet von vollmundigen Ankündigungen der Politik - ab einem bestimmten Grad der Empörung ist eine Regierungserklärung des Minister- und Stimmungspräsidenten Matthias Platzeck (SPD) garantiert. Man verspricht, das Haus aufzuräumen, bis ziemlich schnell Ruhe einkehrt, alles im Klein-Klein und im Sande versickert. Man merke: Schuldige, persönliche Konsequenzen gibt es im märkischen Kollektivstaat nie. Vielleicht ist das der Brandenburger Weg, der in der Stolpe-Ära beschworen wurde: Keiner will's gewesen sein, und weil es keiner war, waren es eben alle. Zurücktreten kann ja niemand, weil die Kandidaten lange in Pension sind. Wohin diese Dauer-Affäre, das Prinzip Verantwortungslosigkeit, führt? Zu einem Verlust an Vertrauen in den Rechtsstaat, in die Gewalten, ja in Demokratie. Dass man jetzt etwa die "Altanschließer" zur Kasse bitten kann, basiert auf einem sehr, sehr spitzfindigen Urteil des Oberverwaltungsgerichts, wonach Satzungen, die in Brandenburg selbst nach 19 Jahren nicht gültig sind, auch nicht verjähren konnten. Juristisch mag das korrekt sein, vielleicht. Die Logik ist perfide. Kein Finanzamt kann noch Uralt-Steuern kassieren, nach fünf Jahren sind selbst die meisten Straftaten verjährt. Aber bei Abwasser-Beiträgen soll das möglich sein? Wenn der Landtag das nicht verhindert, wenn er sich opportunistisch hinter vermeintlichem Recht versteckt, nur versucht, Folgen zu mildern, Härtefälle zu entschärfen, dann geschieht in Wirklichkeit eins: Politik gibt ihren Gestaltungs- und Führungsanspruch auf. Dann ist Brandenburg ein Land, in dem man sich auf nichts mehr verlassen kann.
Quelle: Lausitzer Rundschau