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Westdeutsche Zeitung: Die Krise des Baufinanzierers Hypo Real Estate

Archivmeldung vom 06.10.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.10.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Es ist eigentlich schon nicht mehr wichtig, ob die Vorstände der Hypo Real Estate vor Wochenfrist Politik und Großbanken bewusst über die tatsächliche Lage ihres Instituts täuschten. Oder ob sie einfach selbst den Überblick über ihre irische Tochter Depfa verloren hatten.

Man mag den Zahlen ohnehin kaum noch trauen: zuerst 35 Milliarden, dann 50 Milliarden, vielleicht aber auch 100 Milliarden.

Die tatsächliche Höhe der Risiken ist ungewiss, gewiss ist nur eines: Der Steuerzahler zahlt, was immer es kostet. Denn wie die Dinge liegen, kommen wir nicht darum herum. Nicht, weil uns die Hypo Real Estate besonders am Herzen läge, und auch nicht, weil die Spekulation auf kurzfristige Zinsgewinne eines besonderen staatlichen Schutzes bedürfte. Sondern deshalb, weil ein Zusammenbruch der Münchner Hypothekenbank auch Kommunen, Sparkassen und berufsständische Versorgungwerke gefährden würde. Oder, wie die Kanzlerin gestern sagte, weil nicht zugelassen werden darf, dass die "Schieflage" eines Instituts das gesamte Finanzsystem in "Schieflage" bringt.

Nicht vergessen aber werden sollte bei all dem, dass diejenigen, die heute so verzweifelt nach der staatlichen Intervention rufen, die sie zuvor doch immer höhnisch als "Bevormundung" denunzierten, es selbst waren, die die Depfa von Wiesbaden ins Steuerparadies Irland brachten. Die 100-prozentige Hypo-Tochter wollte damit zum einen die strengeren Auflagen in Deutschland umgehen. Und zum anderen bewusst und ohne jede Scham ihre Gewinne dem deutschen Finanzamt vorenthalten. Stattdessen versteuerte die Depfa ihre Gewinne zum halben Steuersatz von 12,5 Prozent in Dublin. Und jetzt, als das Spiel mit den Zinssätzen geplatzt ist, verlangen die gleichen Vorstände, dass dafür der Steuerzahler einzustehen hat, dem sie ihre Steuern, solange sie Gewinne machten, vorenthielten.

Wirtschaft ist keine moralische Veranstaltung. Deshalb werden wir für dieses Versagen wohl haften müssen. Aber wir sollten uns an den Vorgang erinnern, wenn z. B. bei Forderungen nach einem menschenwürdigen Mindestlohn dieselben Vertreter plötzlich wieder von "Bevormundung" oder "staatlicher Regulierungswut" fabulieren. Dann hätten wir aus dieser Krise zumindest etwas gelernt.

Quelle: Westdeutsche Zeitung

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