Börsen-Zeitung: Vorletzter Akt
Archivmeldung vom 14.05.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIm griechischen Schuldendrama hat der vorletzte Akt begonnen. Titel: Restrukturierung der Staatsschuld. Auch wenn EU-Politiker sich noch geradezu krampfhaft gegen diesen Akt wehren und - was durchaus löblich ist - ihn irgendwie abzuwenden versuchen, ist an den Märkten längst klar, dass es nicht mehr um die Frage geht, ob es zu einer Restrukturierung kommt. Diese Frage ist unter Marktakteuren längst mit einem "Ja" beantwortet. Die beiden entscheidenden Fragen lauten nun: Wann kommt die Restrukturierung, und vor allem: Wie wird sie aussehen?
Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters in der gerade abgelaufenen Woche gab ein sehr deutliches Bild davon ab, wie Marktakteure die Perspektiven einschätzen. Es wurden 28 Volkswirte, die in Finanzinstituten auf der sogenannten Sell Side (zum Beispiel Bond Sales) arbeiten, und 15 Fondsmanager befragt. Gerade einmal drei Befragte glauben noch ernsthaft, dass eine Restrukturierung vermieden werden kann. Die Experten gehen nicht von einer unmittelbar bevorstehenden Restrukturierung aus. 80% der Befragten erwarten sie nicht vor Oktober dieses Jahres. Rund die Hälfte der Befragten meint, dass von heute an gerechnet noch mehr als ein Jahr ins Land gehen wird.
Deutliches Urteil
Bei einer Restrukturierung von Verbindlichkeiten kann an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden. Angefangen bei einer Laufzeitenverlängerung über Kuponstundungen oder Herabsetzungen derselben bis hin zur Reduktion des Nominals, d.h. des ehemals überlassenen Kapitalbetrages - besser bekannt als Haircut. Kombinationen dieser Lösungen sind ebenfalls möglich. Rund 60% der Fondsmanager erwarten, dass im Rahmen einer Restrukturierung letztendlich mit einem Haircut zu rechnen ist, bei dem die Bondholder nicht ihr gesamtes Kapital zurückbekommen. Im Mittel wird von einer Reduktion (Haircut) von 55% des Nominals ausgegangen. Unter den Volkswirten, die nicht täglich mit Kauf- bzw. Verkaufsentscheidungen konfrontiert sind, erwartet rund die Hälfte einen Haircut, der mit angegebenen 40% aber geringer ausfällt. Der Markt - gemessen an den Spreads (Kosten) der Absicherungsinstrumente Credit Default Swaps, die sich nicht nur in der Krise als verlässlicher Indikator für Fundamtalentwicklungen erwiesen haben - fällt da schon ein deutlicheres Urteil. Die am Markt gehandelte Wahrscheinlichkeit eines Kreditereignisses liegt bei einem angenommenen Liquidationserlös der Anleihen von 40% bei immerhin 65%. Die Erwartungen zur Höhe des Haircuts divergieren zwischen den Volkswirten und Fondsmanagern. Einigkeit besteht aber in einem Punkt: Die gegenwärtige Situation in Griechenland ist nicht mehr tragbar und erfordert entsprechende Maßnahmen. Die angegebenen Aktionsalternativen reichen von Laufzeitenverlängerung über Zinsreduktion bis hin zum Haircut - Restrukturierung der Staatsschuld eben. Griechenland kommt nach Meinung des Marktes nicht mehr daran vorbei.
Rückblende: Vor einem Jahr gab es das alternativlose Rettungspaket für den Euro. 110 Mrd. Euro Hilfe für Athen, ein Rettungsschirm von 750 Mrd. Euro und Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank wurden beschlossen und umgesetzt. Zur Erinnerung: Politiker erklärten, dass Griechen-Bonds sicher seien, Irland und Portugal ohne Hilfe auskommen würden. Ein Jahr später sind es drei Rettungsfälle, Wirkungen von Staatsanleihekäufen, über die Marktzugang gewährleistet werden sollte, sind völlig verpufft. Athen möchte bereits weitere Zinserleichterungen bei den Hilfskrediten - von der erdrückenden Staatsschuld, die sich nicht verbessert hat, ganz zu schweigen. Und jetzt? Der nächste Bail-out, mit dem das Refinanzierungserfordernis von Athen der kommenden beiden Jahre aufgefangen wird? Denn längst ist doch klar, dass eine Rückkehr an die Kapitalmärkte 2012, wie ursprünglich vorgesehen, zum frommen Wunsch geworden ist. Bei 25% Zinsen auf zwei Jahre Laufzeit ist diese Vorstellung geradezu utopisch.
Wieder "alternativlos"?
Warum also die Zurückhaltung der Politik in der Frage der Restrukturierung? Weil sie sich damit eingesteht, dass die bislang ergriffenen Maßnahmen zumindest nicht den erhofften und den öffentlich propagierten Erfolg gebracht haben. Nun wird sich die Politik eingestehen (müssen), dass eben kein Weg mehr an der Restrukturierung vorbeiführt. Doch damit ist ein Wandel der Rhetorik verbunden. Die Märkte werden deshalb in den kommenden Wochen und wahrscheinlich Monaten genau verfolgen, wie sich ebendieser Rhetorikwandel gestalten wird. Auf Verbalakrobatik dürfen sich die Märkte einstellen. Am Ende wird es vielleicht wieder heißen: "Die Restrukturierung ist alternativlos."
Und nach der Restrukturierung kommt der letzte Akt: Rückkehr an den Kapitalmarkt. In welcher Währung?
Quelle: Börsen-Zeitung