WAZ: Forderung nach neuen Gesetzen: Gesellschaft im Verbotsrausch
Archivmeldung vom 28.03.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEinmal davon abgesehen, dass es freudlos ist, Menschen das Leben kurz und klein zu verbieten: Es ist lebensgefährlich. Wenn eine Gesellschaft sich dem Verbotsrausch hingibt, hört sie auf, selbstständig zu denken, Verantwortung zu übernehmen und neue Ideen zu entwickeln.
Am Beispiel Jugend und Alkohol lässt sich das einfach nachweisen.
Im Schrecken über das Komasaufen wird reflexhaft die Forderung
erhoben, Alkohol für Jugendliche bis zur Volljährigkeit zu verbieten.
Ins Koma saufen sich aber oft Kinder unter 16, die ohnehin keinen
Alkohol kaufen dürfen. Eine Verschärfung der Gesetze bewirkte also
hauptsächlich das trügerische Gefühl, alles für das Jugendwohl getan
zu haben. Die Kinder saufen weiter. Die entscheidenden Fragen, welche
Kinder das tun, warum sie das tun und wie man klug mit den Ursachen
umgehen kann, werden weder gestellt noch beantwortet.
Die meisten Verbotsfantasien zielen auf eine fragwürdige
Perfektion von Menschen. Killerspiele, Fast Food, Fernsehen, Rauchen,
Risiko-Sportarten: Alles, was gewalttätig, dick, doof oder krank
machen könnte, gerät nahezu gleichrangig immer wieder in den Blick
der Weltverbesserer. Hinter der übertriebenen staatlichen Fürsorge
steht der riskante Gedanke, das Leben von Menschen zu ihrem Besten
uniformieren zu wollen. Die Folgen können auf etwas längere Sicht
katastrophal sein. Gewalttätige wurden schon in der Vergangenheit
bestraft. Werden aber in einer unschönen neuen Welt der Zukunft auch
Dicke, Doofe und Kranke bestraft? Gerade ein Land, das in
historischer Verantwortung selbstkritisch auf seine Fähigkeit zur
Toleranz achten muss, darf der Diskriminierung durch Verbote keinen
Vorschub leisten.
Die Gründe für eine zunehmende Verbotspolitik sind eigentlich leicht zu durchschauen. Die Globalisierung raubt der Politik in den Nationalstaaten immer mehr Gestaltungskraft. Jede Regierung teilt sich die Macht mit hoch mobilem Kapital. Unternehmen suchen sich Standorte, wo sie wenig Steuern zahlen und billige Arbeitskräfte finden. Der Staat verliert Geld und Arbeitsplätze. Gerade Deutschland hat sich an die positiven Steuerungsinstrumente des Staates wie Eigenheimzulage oder Pendlerpauschale gewöhnt. Heute sind sie kaum mehr bezahlbar. Verbote dagegen kosten nichts. Wohnt ihnen sogar ein pädagogischer Ansatz inne, verlassen sich Politiker im Kampf um parteipolitische Macht gern auf die gefühlten Mehrheiten des Moments. Komasaufen? Alkoholverbot. Für den Moment fühlt man eine Mehrheit hinter sich.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung