Berliner Morgenpost: Vorhang auf für die nächste Bildungs-Show
Archivmeldung vom 16.12.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittZum Jahresende erlebt das Land traditionell noch einmal eine Reihe symbolpolitischer Shows, die eines stets gemeinsam haben: Für die Nachrichten werden Bilder von wichtig dreinblickenden Volksvertretern gemacht, als Ersatz für tatsächliches Handeln. An diesem Mittwoch nun wird der Bildungsgipfel gegeben; als Hauptdarstellerin tritt Ministerin Schavan vor die Kameras.
Die frohe Botschaft: Seht her, die Regierung fördert Bildung. Wie bei allen Bildungsgipfeln bleibt bei Eltern gleichwohl das merkwürdige Gefühl, dass sich die Fördermilliarden irgendwo zwischen der großen Berliner Bühne und den ramponierten Klassenzimmern einfach auflösen. So wird es wieder sein. Denn es geht bei diesem Gipfel weniger um schlauere Kinder, sondern darum, widerspenstigen Länderchefs ihre Stimme zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz abzukaufen. Um was noch? Die Studentenproteste haben zu ein paar Krümeln mehr BAföG geführt, und eine verkorkste Uni-Reform soll mit einem kostspieligen "Qualitätspakt Bologna" gerettet werden. Obendrauf gibt's ein paar Stipendien. Alles schön, alles wohlklingend. Aber die Nöte der Bildungsrepublik werden mit sanfter Korruption und Anästhesie kaum zu lindern sein. Das deutsche Drei-Klassen-System wird sich weiter in die Gesellschaft fressen. Oben steht die wachsende Zahl Eltern, die es sich leisten können oder wollen, ihren Nachwuchs auf private Schulen schicken, zu Auslandsaufenthalten oder zur Nachhilfe. Am unteren, rasch wachsenden Ende, das die Politik beschönigend "bildungsfern" nennt, werden junge Menschen auf ein weitgehend erwerbsloses Leben vorbereitet. Für Eltern, die keinen Wert auf Bildung legen, weil sie ihr Leben auch ohne Bücher halbwegs hinbekommen und diese Botschaft an ihre Kinder weitergeben, bleibt der Berliner Gipfel folgenlos. Zwischen Bildungselite und Bildungsverweigerern bewegt sich eine schrumpfende Mittelklasse, die sich mit dem öffentlichen Angebot arrangiert. Dass dieser Dreiteilung nicht entgegengewirkt wird, das ist der wahre Gipfel. Eines der großen Versprechen der Bundesrepublik lautete immer: Jeder, der will, kann es mithilfe eines vielfältigen deutschen Systems nach oben schaffen, notfalls auch später, auf dem zweiten Bildungsweg, so wie der frühere Bundeskanzler Schröder. Dieses Versprechen gilt nicht länger. Internationale Studien belegen einhellig, dass die Zukunft junger Menschen entscheidend vom Status der Eltern abhängt. Die deutsche Schule ist keine Chancen-Maschine mehr, sondern vertieft soziale Gräben. Ein Land ohne Aufstiegskorridore aber beraubt sich seines wichtigsten, zudem kostenlosen Motivationsprogramms. Schüler, die früher sagten: "Keinen Bock, hat ja doch keinen Zweck", konnte man oft zu Recht der Bequemlichkeit bezichtigen. Heute liegen junge Menschen mit defätistischen Sprüchen leider meist richtig. Inszenierungen wie dieser "Bildungsgipfel" ringen Schülern nur mehr ein mattes Lächeln ab. Sie ahnen: Mit ihrem Leben hat die Show auf der Berliner Bühne nichts zu tun.
Quelle: Berliner Morgenpost