Börsen-Zeitung: Manege frei!
Archivmeldung vom 06.09.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSelten hat es ein Marktexperte schöner formuliert als zuletzt der Chefvolkswirt der DekaBank Ulrich Kater: "Die Finanzmärkte sind wie am Nasenring von den Rohstoffpreisen durch die Manege gezogen worden."
Die Hausse der Commodities ist das Thema, das alle Teile der Finanzmärkte bestimmt. Aber wer zuletzt am Ölmarkt investiert war, der brauchte sehr starke Nerven. Denn die Preise sind - um im Zirkusbild zu bleiben - vom Hochseil gestürzt.
Doch was ist geschehen bzw. was geschieht derzeit, dass es zu solch heftigen Einbrüchen kommen konnte? Da ist zum einen der Dauerbrenner Finanzmarktkrise, der im Zirkus Weltwirtschaft die Rolle des stets nervenden, immer wieder auftauchenden und unlustigen Clowns übernommen hat: Keiner mag ihn sehen, aber keiner weiß, wie man ihn loswerden kann. Und in der gerade beendeten Handelswoche hat der Finanzkrisenclown wieder einmal die Manege betreten: Denn sobald die marktimmanenten Nachrichten ausbleiben und es von technischer Seite wenig zu sagen gibt, beginnen Investoren wieder darüber nachzudenken, wie die weltwirtschaftliche Situation ist, und sich ein düsteres Bild von Rezession und mangelnder Nachfrage zu malen. Dies ist in der gerade beendeten Handelswoche geschehen und es wird sich auch in der neuen Woche wieder ereignen.
Großer Nachholbedarf
Doch wie düster ist die Situation wirklich? Sicherlich belastet die Krise die Weltwirtschaft, aber trotz aller Probleme haben sich die Träger des Aufschwungs der jüngsten Vergangenheit als erstaunlich robust erwiesen: Die Emerging Markets wachsen immer noch mit Steigerungsraten, die man in Europa und den USA bestenfalls noch vom Hören-Sagen kennt. Und rechnet man einmal etwa den Rohstoff-Verbrauch in Pro-Kopf-Größen um, dann besteht von dieser Seite wenig Sorge, zu groß ist der Nachholbedarf im Vergleich etwa zu den USA, Deutschland oder Japan.
Auch aus diesem Grund haben sich zuletzt die Marktbeobachter, die sich selbst gerne als Direktoren im weltweiten Finanzzirkus sehen, nicht von dem Preissturz aus der Fassung bringen lassen: Die Analysten und Volkswirte der großen Investmentbanken bestätigen ihre Kursziele. So bekräftigen etwa die Experten von Goldman Sachs ihre Prognose von 149 Dollar je Barrel Erdöl bis zum Jahresende. Die fundamentalen Daten seien mehr zu beachten als der wieder erstarkte Dollar, der eher preissenkend wirkt. Den Nachfragerückgang aus China erklären Experten damit, dass viele Fabriken während der Olympischen Spiele geschlossen waren und die Nachfrage deshalb sank. In den nächsten Monaten wird diese aber wieder steigen. Auch andere Banken rechnen daher damit, dass der Preis anziehen wird.
Dompteure beratschlagen
Und in der neuen Woche werden noch andere Mitspieler als Clowns und Direktoren das Unterhaltungsprogramm ganz entscheidenden prägen: Denn für den Dienstag haben die vermeintlichen Ölpreisdompteure ihren Auftritt angekündigt: Die Vertreter der Opec treffen sich in Wien und beratschlagen über ihre weiteren Schritte. Und da sie die 100 Dollar als Mindestpreis unbedingt halten wollen, dürfte in der kommenden Woche wieder einmal ein interessantes Zirkusschauspiel zu beobachten sein: Je nachdem, zu was die Herren sich durchringen, wird der Ölpreis wie ein dressiertes Tier nach oben oder nach unten springen.
Auch ein anderer Punkt könnte den Ölpreis in der neuen Woche zum springen oder stürzen bringen, nämlich die amerikanische Hurrikan-Saison, die nun auf vollen Touren ist. Was diese mit den Preisen anstellt, war in der gerade beendeten Handelswoche eindrucksvoll zu beobachten, als "Gustav" über den Golf von Mexiko fegte und glücklicherweise nur wenige schwere Schäden bei Menschen und Gebäuden anrichtete. Doch auf Gustav folgen die Wirbelstürme Hanna, Ike und Josephine, und dies sind nur diejenigen, denen man schon einen Namen gegeben hat.
Deshalb kann es auch in der kommenden Woche nur heißen: "Manege frei" für viele neue Sensationen in der Rohstoffmanege und im Finanzmarktzirkus.
Quelle: Börsen-Zeitung (von Frank Bremser)