LVZ: Symbole
Archivmeldung vom 16.06.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDarf man mit einem Schwips in aller Öffentlichkeit die deutsche Nationalhymne singen? Verstößt es gegen das politische Neutralitätsprinzip, wenn man sich die Landesflagge ans Auto heftet und damit jubelnd durch die Stadt fährt? Droht das Bewusstsein für die Aufarbeitung der Stasi-Akten unter dem Eindruck der Fußball-WM Schaden zu nehmen?
Akademische Fragen, die so nur in Deutschland gestellt werden. Weil
sich unsere Nachbarn in Europa beim Thema Nationalstolz weniger
schwer tun. Dass dies so ist, hat historische Ursachen. Zwei
Weltkriege mit Millionen von Opfern und der Holocaust liegen als
historische Schuld über dem Land. Obendrein hat die Teilung im
Gefolge des Kalten Krieges Selbstzweifeln und Selbstkasteiung
Vorschub geleistet. Und nicht zuletzt spielt wohl auch die Mentalität
eine gewisse Rolle. Die Vergangenheitsbewältigung ist bei unseren
Nachbarn in Italien und Frankreich jedenfalls vergleichsweise
rigoroser und deshalb auch rascher vorangeschritten.
Wenn jetzt also Tausende in WM-Euphorie "Deutschland, Deutschland"
skandieren, Fahnen schwenken und sich als Teil einer Nation
begreifen, ist das kein Rechtsruck, sondern ein Schritt in Richtung
Normalität. Zumal, wenn der Jubel in ein gemeinsames Feiern mit den
Fans anderer Länder mündet. Deutschland hat reiche kulturelle
Traditionen, nach wie vor wirtschaftliche Spitzenleistungen und
derzeit sogar sportlichen Erfolg. Und offenbar auch Symbole dafür,
mit denen sich vor allem eine neue und unbelastete Generation
durchaus zu identifizieren vermag. Das kann man staunend zur Kenntnis
nehmen - verwerflich ist es nicht.
Wenn die GEW in diesen Zeiten Broschüren an Schulen verteilen will,
um die deutsche Nationalhymne als "furchtbares Loblied" zu
verurteilen, das eine Stimmung des Nationalsozialismus verbreitet,
ist das historisch zu kurz gedacht. Die Hymne stammt schließlich aus
der Zeit vor der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland
von 1848/49. Hoffmann von Fallersleben ist nicht für Auschwitz zur
Rechenschaft zu ziehen.
Wer also für den Missbrauch das Opfer
bestrafen will, macht es sich zu leicht.
Und auf die Täter zielt das Ganze schon gar nicht. Wie will Schule
schließlich dem Rechtsradikalismus unter Jugendlichen begegnen, wenn
sie ihm die Themen auf diese Weise überlässt? Wie will sie Werte
vermitteln, wenn sie der Identifikation mit dem eigenen Lande im Wege
steht? So ist das Ganze am Ende auch noch pädagogisch
kontraproduktiv.
Im Ausland erwartet man von den Deutschen nicht derartige Formen der
Selbstkasteiung, sondern Berechenbarkeit und
Verantwortungsbewusstsein. Ein selbstbewusstes und zugleich
weltoffenes Deutschland wie zu dieser Fußball-Weltmeisterschaft ist
ein starkes Argument für politisches Vertrauen und für
wirtschaftliche Investitionen. Auch dann noch, wenn diese WM längst
vorüber ist.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung