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Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema "Die Intellektuellen"

Archivmeldung vom 12.11.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.11.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Martina Gedeck hält ein Referat über die RAF: »Ulrike Meinhof griff zur Waffe, nachdem sie jahrelang mit Worten gekämpft hatte, sich die Gesellschaft aber trotzdem nicht änderte.« Wäre dies wahr, dann müsste jeder Journalist irgendwann zum Mörder werden.

Martina Gedeck ist Schauspielerin. Qualifiziert sie das, uns die Welt zu erklären? Offensichtlich: Veronica Ferres analysiert bei Reinhold Beckmann, warum die DDR unterging, denn sie war »Die Frau vom Checkpoint Charlie«. Die lange mit einem jüdischen Schuhhändler liierte Iris Berben soll sagen, wieso der Nationalsozialismus die Juden vernichtete, und wer keine Schmerzen an der deutschen Geschichte verspürte, sondern bloß im eigenen Körper, stoppte den (mittlerweile verstorbenen) Klausjürgen Wussow auf offener Straße, Herr Professor Brinkmann, ich hab da so ein Ziehen im Brustkorb . . . Der Bürger sucht Orientierung, gerade in der Krise, und es gab Zeiten, da standen die Wegweiser an jeder Ecke. Als Willy Brandt mehr Demokratie wagen musste, wenn der deutsche Michel nicht die Moderne verschlafen wollte, rissen sie sich um das Megaphon, Grass und Habermas, Harpprecht und Härtling, Jens und Lenz - mir nach! Herrlichen Zeiten führen wir euch entgegen. Heute bräuchten wir sie wieder, doch wo sind die Intellektuellen, die berufen sind, den Finger auf Wunden zu legen? Wer nutzt heute seine durch wissenschaftliche oder künstlerische Leistung erworbene Autorität und tritt im Widerstreit von Macht und Geist als Verteidiger des Geistes auf? Keiner mehr da. Heute sieht der Historiker in den 68ern neue Nazis (Götz Aly), hält der Publizist Toleranz für gesellschaftlichen Selbstmord (Henryk M. Broder) und fräst der Philosoph den ersten Satz der Selbsterkenntnis in Stein: »ich hasse, also bin ich« (André Glucksmann). Auf der anderen Seite des Rheins werden diese Leute querelleurs genannt, Radaubrüder, denn den Franzosen missfällt es, wenn die Sicherungen aus den Hirnen fliegen, dass es knallt. Mit solchem Unsinn lösen wir kein heutiges Problem. Vereinzelt wird bereits der Verdacht laut, das sei womöglich eine Charakterfrage. Ein unfairer Vorwurf? Möglich. Andererseits ist von der bezwingenden Geisteskraft eines Theodor Mommsen, eines Thomas Mann oder auch nur eines Heinrich Böll wenig zu spüren. Von Luther wollen wir gar nicht erst anfangen, obwohl es sich in diesen Novembertagen schon aus biographischen Gründen anböte. Die Chancen der Jungen auf Bildung und Arbeit sinken, die Bundeswehr droht den Rubikon zu überschreiten, weil Innenminister Wolfgang Schäuble den Bürger als Feind betrachtet, Aktienkurse über alles, über alles in der Welt: Es gibt viel, das sich zu kritisieren lohnt. Man kann nicht leidenschaftslos auf dem Sofa hocken bleiben, während die Hasardeure in Wirtschaft und Politik den Bürger in seiner Existenz bedrohen. Die Wurzeln der Intellektuellen liegen in der Aufklärung. Jetzt gilt es, deren Errungenschaften zu verteidigen.

Quelle: Westfalen-Blatt

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