WAZ: Der gescheiterte Kohlegipfel
Archivmeldung vom 30.11.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSo nah an einem Ausstieg aus der Kohle war die Politik noch nie. Doch auf den letzten Metern der langen Suche nach einem Kompromiss gibt es wieder einmal Streit, einen regelrechten Koalitionskrach sogar.
Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet die
SPD macht so dem sich wandelnden Bergbaukonzern RAG das Leben schwer.
Mit einem in erster Linie symbolischen Kampf für den dauerhaften
Erhalt des deutschen Bergbaus bremsen die Sozialdemokraten die
Börsenpläne von RAG-Chef Werner Müller, Kanzler Schröders ehemaligem
Wirtschaftsminister. Der Börsengang allerdings gilt als beinahe
alternativloser Plan, um dem Unternehmen insgesamt eine gedeihliche
Zukunft zu geben.
Ohne einen politischen Kohlekompromiss kann sich die RAG eben
nicht in ein strotznormales Unternehmen verwandeln, das ordentliche
Gewinne erwirtschaftet. Dies wäre aber nicht nur wünschenswert, weil
im Ruhrgebiet ein neuer Dax-Konzern entstünde, sondern auch, um den
mehr als 30 000 Bergleuten und ihren Familien klar aufzuzeigen, wie
ihre berufliche Zukunft aussehen wird. Diese fordern zu Recht, dass
ihr Schicksal nicht von politischen Launen abhängig sein darf.
Längst liegt ein ausgefeiltes Konzept auf dem Tisch. Es verbindet
das Ende der Bergbau-Ära mit einer Perspektive für den RAG-Konzern
und seine Beschäftigten. Dass es keine betriebsbedingten Kündigungen
geben soll, heißt übersetzt: Kein Kumpel fällt ins Bergfreie.
Immerhin: Damit haben die Beschäftigten auf den Zechen mehr
Arbeitsplatzsicherheit als viele andere Menschen im Land. Selbst eine
Klausel ist formuliert, die den Ausstieg aus dem Kohle-Ausstieg
ermöglicht, wenn es in Zukunft energiepolitische Erwägungen
wünschenswert und parteitaktische Konstellationen realistisch machen.
Was will die SPD mehr?
Sie hat in Berlin wohlfeile Symbolpolitik betrieben. Als selbst die Kohle-Gewerkschaft IG BCE zu einem Kompromiss bereit schien und sich ein Ausstiegsbeschluss für das Jahr 2018 andeutete, verlangten die Sozialdemokraten neuerlich einen dauerhaften Bergbau im Land - im Jargon: "Sockelbergbau". Es scheint, als führe die SPD einen Wettkampf darum, wer der wahre Arbeiterführer in NRW ist: CDU-Ministerpräsident Rüttgers mit seinem neuen Sozialprogramm - oder SPD-Fraktionschefin Kraft und Parteichef Dieckmann. Moderne Industriepolitik allerdings sieht anders aus als die SPD-Strategie. Denn schließlich muss es RAG, IG BCE, Bund und Land darum gehen, durch ein zukunftsfähiges Unternehmen an der Ruhr neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung