Lausitzer Rundschau: Die CDU und die Angst der Wähler Keine neue Balance
Archivmeldung vom 29.11.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.11.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNach dem Parteitag in Dresden ist zu fragen: Was hat er dem Land gebracht? Oder wenigstens der CDU? Angela Merkel ist als Kanzlerin gefeiert und als Vorsitzende gestärkt worden. Das entsprach der Logik der Situation. Die Konkurrenten hinter ihr halten sich gegenseitig in Schach.
Das schafft Ruhe. Der Unmut der Basis
über mangelndes CDU-Profil entlud sich nicht. Das war Disziplin. In
der Familienpolitik hat die CDU eine nachholende Modernisierung
vollzogen. Immerhin. Beim Investivlohn hat sie sich sogar als
Vorreiter betätigt. Bravo. Aber dafür zwei Tage?
Es gab ein Wort, das in fast allen Redebeiträgen auftauchte, als es
um die von Jürgen Rüttgers entfachte Richtungsdebatte zwischen
marktwirtschaftlichen Reformen und sozialer Sicherheit ging: Angst.
Die längst auch in den Mittelschichten verbreitete Angst vor dem
sozialen Abstieg hat der Union mit ihrem stark wirtschaftsliberalen
Reformkurs im Jahr 2005 bei der Bundestagswahl ein sehr schlechtes
Ergebnis beschert. Aber die Aufarbeitung jener Wahl fand auch diesmal
nicht statt. Im Gegenteil: Es ist ein Stück aus Absurdistan, dass in
Dresden das Wahlprogramm des Jahres 2005 in seinen bei den Wählern am
meisten abgestraften Teilen, nämlich der Wirtschaftspolitik, erneut
bestätigt wurde. Und zwar ohne erkennbaren Sinn, nur um einen Riss
zwischen dem sozialen Flügel um Jürgen Rüttgers und den Reformern zu
vermeiden.
Angela Merkel hat in ihrer Rede ihren unbedingten Reformwillen
unterstrichen. Aber sie hat noch keine neue Balance zwischen dem
Bedürfnis nach sozialer Sicherheit und der Notwendigkeit
durchgreifender Veränderung gefunden. Und mit ihr hat die ganze Union
noch keine Antwort darauf entwickelt, wie den Menschen die Angst
nicht nur verbal, sondern real genommen werden kann, wenn das
Erwerbsleben noch stärker auf Leistungsfähigkeit getrimmt werden soll
und die Sozialsysteme noch mehr auf Eigenvorsorge. Eine solche
Balance setzt wohl ein neues gesellschaftliches Verständnis voraus:
Das eines Staates, der dafür sorgt, dass alle Bürger auch befähigt
sind, in der Leistungsgesellschaft zu bestehen. Und auf der anderen
Seite das einer Leistungsgesellschaft, die jeden Befähigten auch
seine Leistung erbringen lässt.
Quelle: Pressemitteilung Lausitzer Rundschau