Westdeutsche Zeitung: Steuerpolitik braucht Ehrlichkeit
Archivmeldung vom 26.11.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs gibt anscheinend nichts Langlebigeres als befristet eingeführte Steuern. Das beste Beispiel ist die Schaumweinsteuer: Sie ist 1902 unter Wilhelm II. erlassen worden, um die deutsche Flotte zu finanzieren. Die Nazis haben sie 1939 wiederbelebt, um ihre U-Boot-Flotte auszubauen. Und im Jahr 2009 sprudelt die Schaumweinsteuer noch immer.
So gesehen kann man nur hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht den Solidaritätszuschlag kippen wird. Denn die Steuerpolitik braucht nichts dringender als mehr Ehrlichkeit. Die sogenannte Ökosteuer - in Wahrheit ein Rentenfinanzierungsprogramm - ist dafür nur ein weiteres Beispiel. Der Verweis des Rechtsstreits um den Solidaritätszuschlag nach Karlsruhe ist aber noch aus einem anderen Grund ein Segen: Vielleicht nimmt die merkwürdig streitsüchtige Koalition aus CDU, CSU und FDP die ausstehende Grundsatzentscheidung ja zum Anlass, nicht länger ungelegte Steuereier zu verhandeln. Falls das Verfassungsgericht den Solidaritätszuschlag tatsächlich kippen sollte, wird die neue Bundesregierung ihre Steuerpläne ohnehin komplett überarbeiten müssen.
Vor allem sollten wir nach einer Entscheidung der Verfassungsrichter noch einmal grundsätzlich über den Aufbau Ost streiten. Den Solidarpakt bis zum Jahr 2019 zum Tabu zu erklären, nur weil er einstmals zwischen Bund und Ländern unter größten Mühen ausgehandelt wurde, ist jedenfalls nicht überzeugend. Längst ist zum Beispiel die Verkehrsinfrastruktur in Ostdeutschland besser ausgebaut als in vielen westdeutschen Regionen. Und die Zwangsabgabe völlig überschuldeter Städte im Westen an die ostdeutschen Kommunen entbehrt ebenfalls jeder Logik. Zudem ist die Debatte über den missbräuchlichen Einsatz der Milliardentransfers für Beamtenbesoldung und Schuldendienst in den ostdeutschen Ländern ohne weitreichende Konsequenzen geblieben.
Zwanzig Jahre nach der Deutschen Einheit wird es Zeit, die überkommene Förderung nach Himmelsrichtungen aufzugeben. Und auch die Wirtschaftskrise sollte uns endlich dazu veranlassen, Investitionen in diejenigen Regionen zu lenken, in denen sie die meisten Chancen bieten, und strukturelle Hilfen dorthin, wo sie am nötigsten sind.
Quelle: Westdeutsche Zeitung