Leipziger Volkszeitung zum Familienatlas
Archivmeldung vom 05.10.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSachsen-Anhalt ist Spitze. Gleich drei Landkreise von der Saale bis zum Jerichower Land führen bundesweit die Kinder-Betreuungsstatistik an. Zudem haben berufstätige Eltern hier bereits seit Jahren eine Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. In den Kreißsälen allerdings zählt der Klapperstorch zu den akut bedrohten Tierarten.
In dem vom Gynäkologen-Professor Wolfgang Böhmer regierten Land
bringt jede Frau statistisch gerade mal 1,2 Kinder zur Welt -
Schlusslicht im Ländervergleich.
Die Alarmglocken läuten zu Recht. Die größte Entvölkerung in
Deutschland seit Ende des Dreißigjährigen Krieges zieht eine
verhängnisvolle Kausalkette nach sich. Weniger Menschen gleich
weniger Arbeit, weniger Geld gleich weniger Kultur, Sport und
Attraktivität einer Region. Doch der laute Ruf nach mehr
Kinderbetreuung und mehr zentralistisch organisierter Fürsorge führt
nicht ins gepriesene Morgenland. So zielsicher Bundesmutter Ursula
von der Leyen das Thema Kinder entdeckt hat und für die praktische
Politik aufbereitet: Sie nährt zugleich die Illusion, der Staat wird
es schon richten. Deshalb ist der gestern vorgestellte Familienatlas
sicher eine spannende Lektüre und gibt Aufschlüsse, welche Kommunen
wirklich ein Herz für Kinder haben. Ein Erklärungsmuster für zu
niedrige Geburtenquoten ist er aber nicht.
Gewinnbringender ist da schon der Blick in eine Unicef-Studie zu
Zukunftschancen von Kindern in Industriestaaten. Die Autoren stellen
Deutschland ein verheerendes Zeugnis aus - unter 21 Ländern ist es
gerade mal Mittelmaß - , liefern jedoch auch einen unbequemen
Lösungsvorschlag mit. Statt deutschem Scheuklappendenken empfehlen
die Experten einen Maßnahmekomplex. Dazu zählen neben gut
ausgestatteten Krippen und frühzeitiger Bildung eben auch
verlässliche und stabile Beziehungen zur eigenen Familie. Notwendig
sei ein Politik-Mix für Kinder und Familien. Gerade die
Elternförderung sei wichtig, damit Kinder wieder als Wert an sich
begriffen werden.
Und genau an diesem Punkt werden in Deutschland Kinder zum Spielball
für politische Interessen. Es wird nicht um die beste Lösung
gestritten sondern der jeweilige ideologische Schützengräben
aufgesucht. Statt die Erziehungsleistung von beruflich pausierenden
Eltern in den ersten drei Kinderjahren zu honorieren, wird das
Betreuungsgeld von links unter Duldung der Familienministerin als
"Herdprämie" abgeschossen. Von rechts schwingt sich dann der
klerikale Familien-Fachmann Bischof Mixa auf die Kanzel und wettert
gegen Gebärmaschinen und Pseudo-Emanzipierung. So ungeschickt
dröhnend der Mutter-Vater-Kind-Gralshüter aus Augsburg die reine
Lehre auch verkündet: Mixa hat recht, wenn er fehlende Wahlfreiheit
beklagt. Mit staatlichem Dirigismus allein ist kein Staat zu machen.
Und Nachwuchs auch nicht.
Wohl aber kann Vater Staat dazu beitragen, damit in deutschen
Schlafzimmern wieder Eros statt Steinbrück regiert. Es würde schon
helfen, wenn statt der Bundeskasse die Haushaltskasse wieder lauter
klingelt. Der Familienatlas zeigt auch: Schöne Spielplätze sind
wichtig. Aber noch wichtiger sind Arbeitsplätze und auskömmliche
Gehälter. Und da ist Kinderbetreuungsmeister Sachsen-Anhalt eben
eines nicht: Spitze.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung