Berliner Morgenpost: Der Kurras, die Stasi und die Rechthaber
Archivmeldung vom 27.05.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBilder, die wehtun: Ein Mann, schon alt, in den 80ern, prostet dem Fotografen zu. Er sagt wenige Sätze. Er kennt - das wird schnell klar - keine Reue. Näher liegt ihm offenbar das Selbstmitleid. Aus der Distanz könnte man ihn als den Prototypen des Dumpfdeutschen sehen, wer näher rangeht, erkennt vielleicht nur einen armen Tor. Eine unselige Vergangenheit guckt uns da in die Augen und trinkt Bier.
Es lohnt sich immer noch hinzuschauen, genau hinzuschauen, auch darüber zu streiten, wie so etwas eigentlich passieren kann. Der Mann, der da sitzt, hat ja nicht nur einem anderen, damals jüngeren Menschen das Leben genommen. Einem Studenten, der, vielleicht nach Irrwegen, heute Vater sein könnte, ein Opa auch, den die Enkel lieben, und der womöglich glücklich wäre nach einem erfüllten Leben. Der Mann, der da sitzt und trinkt, hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch Dutzende anderer Menschen unglücklich gemacht, indem er sie oder ihre Liebsten verraten, ans Messer geliefert hat. Vielleicht hat er auch dafür gesorgt, dass viele, die sich damals in die Freiheit retten wollten, hängen geblieben sind im Stacheldraht der Diktatur. Karl-Heinz Kurras hat dafür nie öffentlich gebüßt, höchstens mal heimlich, für sich allein, in ganz unglücklichen Momenten. Aber wie er da so sitzt, traut man ihm das auch nicht zu. Es würde ihn vermutlich überfordern, selbst das. Er ist ja nicht der Einzige dieser Kriegsgeneration, der sich schwer tut mit Selbstkritik. Da gibt es weiß Gott andere, hellere als Karl-Heinz Kurras. Betrachten wir also lieber uns, die zugelassen haben, dass so viel Leid ungesühnt bleibt. Diesseits und jenseits der Mauer gab es schließlich eine ausreichende Menge Menschen, die zumindest jeweils Teile des Unrechts kannten, das auf Kurras' Kappe ging. Sie alle ließen ihn laufen anstatt ihn zur Rede zu stellen, feuerten ihn, hier wie da, offen oder verdeckt, eher noch an mit ihren Reaktionen. Weder im Westen, wo man sich ganz offensichtlich keinerlei Mühe gab, vielleicht doch einmal hinter die Fassade des vermeintlich braven, angeblich aus Notwehr um sich schießenden Polizisten Kurras zu blicken. Noch im Osten, wo man ja seit Jahrzehnten und ganz ungebrochen daran gewöhnt war, dass Späne fliegen mussten, wo im Sinne der jeweiligen Staatsmacht gehobelt wurde. Da kam es nicht an auf einen Toten mehr oder weniger. Schließlich hatte man ja Recht. Dieser gut gepflegten Tradition schloss sich dann - jetzt wieder westlich der Mauer - auch die Studentenbewegung an. Auch deren führende Vertreter hatten ja, bei aller behaupteten Distanz zur Elterngeneration, die Wahrheit für sich gepachtet. Eine Wahrheit, die schon wieder Mitläufer anzog und Feuerköpfe, von denen die hemmungslosesten am Ende auch zu Mördern wurden. Zu Tätern ohne Reue. Wir, heute, hier, in einem endlich etwas besseren Deutschland, tun gut daran, diesen bizarren, uns aber immer noch sehr nahen Irrsinn sorgsam aufzuarbeiten, geduldig, ohne Rechthaberei, ohne Schaum vor dem Mund.
Quelle: Berliner Morgenpost