Neues Deutschland: zu deutschen Begrifflichkeiten
Archivmeldung vom 16.01.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt»Du kömmst, o Schlacht! schon wogen die Jünglinge / Hinab von ihren Hügeln, hinab ins Tal, / Wo keck herauf die Würger dringen...« Wohl niemand käme auf die Idee, Hölderlins hehre Zeilen auf das Gaza-Gemetzel zu beziehen.
Marcel Reich-Ranicki nannte die Ode »Der Tod fürs Vaterland« furchtbar und aufregend-abstoßend. Weit weniger aufregend-abstoßend sind die dürftig-beschreibenden Begriffe und militärischen Euphemismen, die seit nunmehr drei Wochen die Berichterstattung über den Krieg in dem mediterranen Küstenstreifen prägen: Offensive, Luftschläge, Bodenangriffe, Vormarsch, Beschuss, Gefechte, Kampfgebiet ... Vokabeln, die ähnlich deplatziert wirken wie die Verse Hölderlins - angesichts eines Gemetzels, bei dem die Verteilung der bislang über tausend Getöteten jede Verhältnismäßigkeit sprengt, wie sie das sprichwörtliche Diktum »Auge um Auge, Zahn um Zahn« aus der hebräischen Bibel beschreibt. Immerhin sind sich sogenannte Konfliktforscher inzwischen weitgehend einig, dass es sich bei der Gaza-Invasion eher um einen »Krieg« als um einen »Konflikt« handelt. Inmitten der Termini technici der Nachrichtensprache erhebt sich bisweilen wie ein erratischer Block das Wort »Blutvergießen« - dessen alttestamentarische Herkunft einen Opferkult suggeriert, was dem Massaker an Hunderten Zivilisten eine kaum wünschenswerte Weihe verleiht. Bleiben wir doch bei Tucholskys Urteil über Kriege und Krieger: »Mord? Natürlich Mord.«
Quelle: Neues Deutschland