WAZ: Peking macht Propaganda
Archivmeldung vom 15.03.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.03.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittArmee und Volk, Hand in Hand, begrüßen die Olympischen Spiele. Gemeinsam schlagen wir ein neues Kapitel der Geschichte auf." So steht es auf einem großen Bauzaun im Osten der chinesischen Hauptstadt geschrieben, über Bildern zackig marschierender Soldaten und dem neuen Olympiastadion. Armee und Sport. Die Parolen am Straßenrand widersprechen krass der Botschaft, die Pekings Politiker in diesen Tagen ein ums andere Mal wiederholen.
Knapp zusammengefasst lautet sie so: Die Olympischen Spiele haben mit Politik nichts zu tun. Wer etwas anderes behauptet und - im Namen des "olympischen Geistes" - mehr Gerechtigkeit und Freiheit einklagt, der kann nichts anderes im Sinn haben, muss ein Staatsfeind sein. Das gilt auch für die tibetischen Mönche, die die vor-olympische Ruhe stören. Sie demonstrierten auf den Straßen Lhasas für die Freilassung von verhafteten Mönchen und für mehr religiöse und kulturelle Freiheiten.
Einer, der die volle Wucht dieser bösen Logik ebenfalls zu spüren
bekommt, ist der 34-jährige Bürgerrechtler Hu Jia. Am Dienstag soll
er wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" vor Gericht
gestellt werden. Das Verbrechen Hus: Er hat Artikel im Internet
verbreitet, in denen er sich für Aids-Patienten und Opfer von
Polizeiwillkür und korrupten Funktionären einsetzte. In einem Offenen
Brief unter dem Titel "Das wahre China und die Olympischen Spiele"
berichtete er über eine polizeiinterne Schwarze Liste von
Dissidenten, Angehörige unerwünschter religiöser Gruppen und
Regimekritiker, die von den Spielen ferngehalten werden sollen. Auch
das ein Widerspruch: Während die Regierung gern davon spricht, dass
China sich weiter öffnet und Teil der internationalen Gemeinschaft
ist, bekommen jene Chinesen besonders viele Knüppel zwischen die
Beine geworfen, die ausländischen Journalisten oder Organisationen
über Konflikte und Probleme in ihrer Heimat berichten.
Wer "politisiert" da die Olympischen Spiele? Ganz sicher sind es
nicht die Bürgerrechtler und die Journalisten, die über die
Machenschaften der chinesischen Geheim- und Staatspolizei berichten.
Es sind auch nicht die ausländischen Menschenrechtsorganisationen,
die Unrecht anprangern und die Namen jener Chinesen nennen, die im
Gefängnis verschwinden. Und es sind nicht die Tibeter, die mehr
religiöse und kulturelle Freiheit einklagen. Niemand politisiert und
niemand missbraucht die Olympischen Spiele so sehr wie die Pekinger
Regierung und ihre Propaganda. Der Fall Hu ist nur das jüngste
Beispiel.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Jutta Lietsch)