LVZ: Leipziger Volkszeitung zu Rüttgers-Plänen
Archivmeldung vom 20.11.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittJürgen Rüttgers bläst ein scharfer Wind ins Gesicht. Ein sehr scharfer. Und zwar nicht nur vom politischen Gegner, sondern inzwischen auch aus den eigenen Reihen. Nur eine Woche vor dem CDU-Bundesparteitag in Dresden scheint der nordrhein-westfälische Ministerpräsident mit seinem Vorschlag isoliert, die Auszahlungsdauer des Arbeitslosengeldes I an eine Staffelung nach Beitragsjahren zu koppeln.
Zumindest die meisten der
CDU-Länderfürsten fallen über ihren Kollegen her - von Christian Wulf
bis Günther Oettinger und Dieter Althaus. Brandenburgs CDU-Landeschef
Jörg Schönbohm will sogar eine neue Spaltung zwischen Ost und West
ausmachen, falls sich der Rheinländer beim Parteitag an der Elbe
durchsetzen sollte.
Papperlapapp. Sicher, in Ostdeutschland konnte kein Arbeitnehmer
länger als 16 Jahre in die Arbeitslosenversicherung einzahlen.
Weshalb theoretisch niemand hier von dem Rüttgers-Vorstoß profitieren
würde. Doch wer sagt, dass die Arbeitszeiten, die in der DDR
geleistet wurden, per se ausgeschlossen sind wie Schönbohm & Co. es
weismachen wollen. Wahrscheinlich niemand. Zumal eine solche Regelung
auch bei einem Gang vor das Bundesverfassungsgericht kaum standhalten
dürfte.
Unter die Abteilung Blödsinn fällt die Kritik, die CDU vollziehe mit
dem Vorschlag einen Linksruck. Aus dem Blickwinkel der
Parteiengeschichte sind das große Worte, wenn es darum geht, ob das
Arbeitslosengeld I zwölf, 18 oder 24 Monate lang ausgezahlt wird. Mit
links und rechts hat das herzlich wenig zu tun. Es handelt sich dabei
um Tages-Politik und um keine programmatische Neuausrichtung der
Partei. Oder provokanter formuliert: Würde sich ein Teil der NRW-CDU
jetzt wieder in Richtung Ahlener Programm orientieren, hätte die
Debatte wirklich eine inhaltliche Berechtigung.
Worum also dreht sich der Streit: Wer länger in die
Arbeitslosenversicherung einzahlt, der erhält im Fall der
Erwerbslosigkeit mehr. Was soll an solch einem Grundsatz so falsch
sein? Ja, er konterkariert noch nicht einmal das Umlage-Verfahren,
was das Rentensystem zeigt. Wenn also das Gerechtigkeitsempfinden der
Menschen, wie es CSU-Chef Edmund Stoiber formuliert, in diese
Richtung geht, sollte dies eine Volkspartei, die sich auf die soziale
Martwirtschaft beruft, zumindest überprüfen.
Die Crux aber liegt woanders: Wie viel Sozialtransfers sich Staat und
Umlageverfahren leisten können, ohne dass die Beiträge der
Versicherung steigen und damit die Kosten wesentlich in die Höhe
treiben? In einer Zeit, in der die Unternehmen global um die
Wettbewerbsfähigkeit ringen, ist die Antwort darauf entscheidend. Ein
Beitragsanstieg verteuert Arbeit. Je mehr Menschen aber einen
sozialversicherungspflichtigen Job finden, desto geringer fällt die
Belastung für die Beitragszahler und die Gesellschaft aus. Dieser
Kreislauf ist es, der diskutiert werden muss. Nicht nur unter dem
Blickwinkel auf das Arbeitslosengeld I, sondern auf alle sozialen
Sicherungssysteme.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung