Westdeutsche Zeitung: Ramelow will nicht mehr unbedingt Ministerpräsident werden
Archivmeldung vom 19.09.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFreunde und Gegner der Linkspartei sollten sich diesen Namen merken: Bodo Ramelow. Schon als Chef-Stratege für die Fusion von WASG und PDS hatte er taktisches Geschick und, wenn es sein musste, auch eine gewisse Rücksichtslosigkeit im Umgang mit "Parteifreunden" an den Tag gelegt, die nicht nach seiner Pfeife tanzen wollten.
Das hat vor allem den Ober-Linken Oskar Lafontaine und Gregor Gysi gefallen. Inzwischen dürfte diesem Duo Infernale das Lachen vergangen sein. Als Spitzenkandidat der thüringischen Linken hat sich Ramelow gestern von den Altvorderen brutal emanzipiert und damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Rot-Rot-Grün in Thüringen (und damit langfristig auch im Bund) wird wahrscheinlicher und eine Zukunft von Lafontaine und Gysi weit über die Bundestagswahl hinaus unwahrscheinlicher.
Ramelows Vorschlag, auf das Amt des Ministerpräsidenten zu verzichten und damit eine Kernforderung der in Thüringen eher kleinen SPD zu erfüllen, setzt deren Spitzenkandidaten Christoph Matschie unter Druck. Seiner Basis könnte er kaum erklären, als Juniorpartner mit der CDU zu koalieren, während er mit der Linken auf Augenhöhe im Kabinett sitzen könnte. Abgesehen davon sind die inhaltlichen Überschneidungen von Rot und Dunkelrot in Thüringen, etwa in der Bildungspolitik, frappierend.
Wer glaubt, Ramelow sei überraschend eingeknickt, der irrt. Lafontaine und Gysi wurden nach der Landtagswahl nicht müde zu betonen, dass die stärkste Partei "selbstverständlich" auch den Ministerpräsidenten stellen müsse. Ramelow hat dagegen immer gesagt, die stärkste Partei habe das Vorschlagsrecht. Das klingt zwar sehr ähnlich, bedeutet aber etwas ganz anderes. Der Ex-Gewerkschafter hatte seine Kurswende von Anfang an als Option eingeplant.
Lafontaine und Gysi hat das gleichwohl kalt erwischt. Für sie ist es eine neue Erfahrung, dass sich ihnen jemand selbstbewusst in den Weg stellt. Kommt es zu Rot-Rot-Grün in Thüringen, kann es Ramelow fast schon egal sein, wer unter ihm Ministerpräsident wird. Er ist dann der starke Mann - in Erfurt und auch in Berlin. Dort könnte er die Nach-Lafontaine-Ära einläuten und einen personellen und programmatischen Schlussstrich ziehen. Wenn ihn die Radikalen lassen.
Quelle: Westdeutsche Zeitung