Die Leipziger Volkszeitung zu Mauerfall/Einheit/Denkmal
Archivmeldung vom 09.11.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn Geschichtssymbolen steckt Erregungspotenzial. Der Abriss des Palastes der Republik lässt in Berlin ebenso die Emotionen kochen wie der Wiederaufbau des Schlosses. Die Dresdner - heute stolz auf ihre Frauenkirche - debattierten vor dem Wiederaufbau, ob die Ruine als Mahnmal verzichtbar sei.
In Leipzig nimmt das Gezerre kein Ende, wie die Aula
aussehen soll, die an Stelle der von Ulbricht geschleiften
Paulinerkirche entsteht. Die Chemnitzer halten am umstrittenen
Marx-Nischel fest, die Berliner haben ihren Wladimir Iljitsch
abgeräumt. Der hat sich dennoch ins Gedächtnis eingebrannt - als
schwebender Bronzekopf im Kultfilm "Goodbye, Lenin!"
Der Streit um Symbole nervt manchmal und ist doch wichtig. So wie die
derzeitige Diskussion um das Einheits- und Freiheitsdenkmal. Zwar
mögen die künftigen Rituale an diesem Ort erhebend sein. Aber die
weitaus nützlichere, erhellendere, tiefgründigere Auseinandersetzung
mit Geschichte findet im Streit statt - auch wenn der sich nur an der
Frage entzündet, ob das Gedenken nach Leipzig oder Berlin gehört.
Leipzig steht für den Freiheitskampf der Ostdeutschen. Protest gab es
vielerorts, doch der friedliche Zug der 70 000 am 9. Oktober auf dem
Ring zwang die Staatsmacht zur Kapitulation. Die Hauptstadt aber ist
der Ort, an dem ein Sinnbild national wie international die stärkste
Beachtung finden kann. Die Stadt der Teilung wandelte sich zum Symbol
der Einheit. Der Mauerfall wiederum war Teil einer Ereignis-Kette mit
vielen Gliedern: Der Perestroika-Kurs im Kreml gehört dazu, das Beten
in der Nikolaikirche, die Öffnung des Eisernen Vorhangs in Ungarn,
der in Prags Botschaft verkündete Sieg der Diplomatie, das Drama am
Dresdner Hauptbahnhof. Erinnerung hat zahlreiche Orte, das Denkmal
aber wird nur an einer Stelle stehen können. Oder doch in Berlin und
Leipzig, wie es einige Abgeordnete als Konsenslösung vorschlagen?
Union und SPD hatten sich bereits im Vorfeld auf die Bundeshauptstadt
geeinigt. Eine parlamentarische Standortdiskussion könnte im Zwist um
diverse Varianten zerbröseln, Begehrlichkeiten bei weiteren Städte
wecken. Das würde die Mehrheit dafür, überhaupt einen Erinnerungsort
zu schaffen, zerstückeln. Schon deshalb werden die Pragmatiker an
Berlin festhalten. Leipzig tut außerdem selbst zu wenig für die
Außendarstellung seiner Geschichte. Beim Vorschlag, den Augustusplatz
zur Erinnerung an den revolutionären Herbst umzubenennen, wurde
jüngst weit mehr über die Schattenseiten der Idee, als über die
Chancen eines solchen, außergewöhnlichen Aktes debattiert. Und obwohl
Zeitgeschichtliches Forum, Stasi-Museum und Nikolaikirche beste
Möglichkeiten für eine breite Wahrnehmung der Freiheitstradition
bieten, rangiert sie beim Tourismus-Marketing weit hinten. Auch
deshalb sind Leipzigs Aussichten für eine vom Bund finanzierte Stätte
der Freiheit und Einheit bescheiden. Immerhin könnte die Stadt sich
ein solches Denkmal selber zum Geschenk machen - wenn sie es
tatsächlich haben will.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung