Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert die schwarz-Grüne Regierungsbildung in Hamburg
Archivmeldung vom 18.04.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt"Exotisch" findet SPD-Fraktionschef Struck das schwarz-grüne Bündnis in Hamburg. Dabei ist es nicht exotischer als mittlerweile Rot-Grün. "Linksrutsch der CDU", klagt FDP-Chef Westerwelle. Und warum wirbt seine FDP dann in Hessen für "Jamaika"?
"Keine Signalwirkung über Hamburg hinaus", grantelt CSU-Chef Huber. Warum registriert man es dann in München? Weil die CSU die bundespolitische Wirkung natürlich sehr, sehr ernst nimmt. Völlig zu Recht, denn auf einigen Themenfeldern - Gentechnik, Stammzellenforschung, aber auch Sozialpolitik - sind die Grünen der Union näher als es die FDP ist. Auf weiteren Gebieten macht es für die Union kaum einen Unterschied, ob sie sich mit einem grünen oder einem liberalen Partner auseinandersetzen muss: innere Sicherheit und Bürgerrechte, Familienpolitik, Zuwanderung. Bei Haushalt und Finanzen ist man weitgehend einig. Wo also sind die wirklich tiefen Gräben? Mindestlohn, Atomkraft, Tempolimit - daran wird weder Schwarz-Grün noch "Jamaika" scheitern, wenn das Wählervotum 2009 diese Optionen offen lässt oder gar nahe legt. Die alten zweifarbigen Modelle haben stark an Attraktivität verloren - Bremen hin, Niedersachsen her. Das mag man bedauern, weil es die Unterschiede zwischen den Parteien oder den "Lagern" verwischt. Andererseits ist es zu begrüßen, weil es neue, undogmatische Politikansätze ermöglicht, ja erfordert. Schon deshalb wird es für den Rest der Republik hochspannend, zu beobachten, was sich in den kommenden Jahren in Hamburg tut. Ein teures Experiment, werden manche unken. Die Kompromisse bei den Hauptknackpunkten Kohlekraftwerk und Elbvertiefung belasten Hamburgs öffentliche Kassen und Wirtschaft voraussichtlich mit hunderten Millionen Euro. Im Idealfall bekommt man aber auch etwas dafür: Eine Politik, die Ökonomie und Ökologie doch versöhnt. Ein Schulsystem, das wirklich fördert und fordert. Eine Uni, die für alle - Studierende wie Allgemeinheit - bezahlbar und doch leistungsfähig bleibt. Eine Verkehrspolitik, die Mobilität verbessert und nicht verhindert. Alles Ziele, die auch außerhalb von Stadtstaaten nicht auf Widerspruch stoßen. Da haben andere Koalitionen schon für Geringeres Großbeträge versenkt, wie wir in Bremen wissen. Dass nun ausgerechnet SPD-Generalsekretär Heil angesichts von Schwarz-Grün "Beliebigkeit um der Macht willen" bejammert, belegt nur die Zerrüttung der SPD. Sein Parteichef Beck war es doch, der den Hamburger Genossen den Erfolg vermasselte, als er Koalitionen mit der Linkspartei ins Belieben der Landesverbände stellte - um der Macht Willen. Die haben nun andere - und die Chance, etwas daraus zu machen.
Quelle: Weser-Kurier (von Jörg Helge Wagner)