Westdeutsche Zeitung: Mehrwertsteuer senken
Archivmeldung vom 24.11.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAnfang 2007, als die Experten Steuer-Mehreinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe vorhersagten, hatte Wirtschaftsminister Michael Glos das richtige Näschen. Der Geldsegen müsse zumindest zum Teil dahin zurückfließen, wo er herkommt, forderte der Christsoziale - nämlich ins Portmonee der Steuerzahler.
Das war vernünftig gedacht angesichts der saftigen Mehrwertsteuer-Erhöhung und der rigiden Kappung der Pendlerpauschale. Das Gedankenspiel hatte aber einen Haken. Glos spekulierte auf Punkte im nächsten Bundestagswahlkampf und ahnte nicht, was das Jahr 2008 uns bringen sollte: steigende Energiepreise plus Nebenwirkungen, eine weltweite Finanzkrise ungeahnten Ausmaßes, und nun die Aussicht auf eine veritable Rezession im Wahljahr 2009. Der Traum der Großen Koalition, in vier Jahren gemeinsamer Bemühung die Staatsverschuldung deutlich zu reduzieren, ist zerplatzt. Das darf man der Regierung nicht vorwerfen - mit der Garantie der Spareinlagen und dem Schutzschirm über die Banken hat sie schnell und mit Augenmaß reagiert. Nun aber hat Priorität, die heraufziehende Rezession zu bekämpfen - möglichst im Anfangsstadium. Und da sind wir wieder bei der Vision des Michael Glos. Konjunkturprogramme für Automobilindustrie, Mittelstand, Handwerk - alles gut und hilfreich. Aber nur für Teile der Bevölkerung. Nämlich für die, die Autos bauen und kaufen. Oder für die, die Dienstleistungen anbieten oder bezahlen können. Das beste Konjunkturprogramm ist eine zeitlich befristete Senkung der Mehrwertsteuer, wie sie jetzt Britanniens Premierminister Brown angekündigt hat. Die ermöglicht allen Bürgern mehr Konsum, auch Rentnern und Kleinverdienern. Die fiskalische Umrüstung auf neue Steuersätze dürfte das kleinste Problem darstellen. Wir sind gespannt auf den bevorstehenden CDU-Parteitag. Die CSU von Michael Glos drängt die Schwesterpartei zur Steuersenkung, und die Zahl der Befürworter nimmt zu. Die Union, so scheint es, hat keine andere Wahl. Kommt sie dem Ruf nach "mehr Netto vom Brutto" nicht nach, muss sie nächstes Jahr um diese Zeit vielleicht von der Oppositionsbank aus mit ansehen, wie eine andere Koalition ihre Vorstellungen zur Staatsentschuldung umsetzt.
Quelle: Westdeutsche Zeitung (von Wolfgang Radau)