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Neue Westfälische, Bielefeld: Lustgefühle

Archivmeldung vom 20.03.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.03.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Die Leipziger Buchmesse verzeichnet einen Besucherrekord. Tausende drängen sich in den Hallen. Sie feiern die Literatur, sie lesen, betrachten Bildbände, träumen, verschaffen ihren Phantasien Flügel und lernen. Wunderbar. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Lesen für viele Menschen harte Arbeit ist, der sie sich, wo immer es geht, entziehen.

Mühsam entziffern sie Kurztexte. Es ist dann die Kunst der Autoren, ihnen das Lesen leichter zu machen. Tägliche Aufgabe von uns Journalisten übrigens. Der Begriff "lustvoll" kommt vielen Menschen nicht in den Kopf, wenn es ums Lesen geht. Oft sind sie schon in der Kindheit nicht richtig in der technischen Fertigkeit des Lesens unterwiesen worden. Heute haben viele Kinder - unvorstellbar - gar keinen Zugang zum gedruckten Wort. Morgens liegt keine Zeitung auf dem Tisch, ein Buch (schneller aufgeschlagen als jeder Computer hochgefahren) ist nie in Reichweite. Deshalb machen Zeitungen wie diese Schulprojekte, in denen sie Schülerinnen und Schülern projektweise frühzeitig Zugang zu Lektüre ermöglichen. Ein Angebot, verbunden mit Hoffnung. Denn es ist eine Lust, wenn die Augen flink über die Worte gleiten, von Zeile zu Zeile hüpfen, von der Neugier auf das Kommende getrieben, wenn das Hirn die Worte leicht zu Sätzen mit Sinn verbindet, zu Geschichten, die von Freude, Liebe, Erotik, Leid und Erleben handeln. Das menschliche Leben zwischen Buchdeckeln. Auf jeder Seite wartet eine neue Überraschung, die Phantasie nimmt die Texte auseinander und setzt sie immer wieder neu zusammen. Bis im besten Falle Gedanken und Empfinden mit dem Text im Kopf des Lesers verschmelzen und zu Erkenntnis destilliert werden. Das kann auch für den geübten Leser Arbeit und Zeitaufwand bedeuten. Wie anders ist das schnelle Reinhacken eines Suchbegriffs in die Suchmaschine des Internets. Hunderttausende von Fundstellen überfordern den Nutzer, und das gezielte Anklicken nur der gesuchten Information lässt ihn geistig verarmen. Für den Alltag sicher nützlich, um sich schnell eine Information zu beschaffen, aber nicht erbaulich, weil auf einen Punkt gezwungen, nicht ausschweifend. Wer nur nach diesen kurzen Informationshappen schnappt, wird auf Dauer das Lesen wieder verlernen. Das verhindern auch nicht die neuen iPads, elektronische Lesegeräte, auf die sich der Nutzer ganze Bücher herunterladen kann. Dennoch ist es gut, dass es diese neuen Vertriebswege für Zeitungen und Bücher gibt. Nach der Zahl der Vorbestellungen zu urteilen, wird das Gerät zum Verkaufsschlager. So wie sich die Gesellschaft mit der Erfindung der Kunst des Buchdrucks plötzlich rasant entwickelt hat, werden die neuen Technologien zu noch mehr Geschwindigkeit beitragen. Doch in diesem Strom der Schnelligkeit werden Bücher immer Inseln der Bildung, des Verweilens, des tieferen Lernens und Erfahrens bleiben. Das macht Lust.

Quelle: Neue Westfälische

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