WAZ: Ein neues EU-Bio-Siegel: Wischiwaschi zum Aufkleben
Archivmeldung vom 13.06.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittOhne Misstrauen würde es kein Siegel geben. Am Beispiel der Lebensmittelbranche ist das sehr schön nachzuvollziehen. Nur weil dort gepanscht, betrogen und vertuscht wurde, hat die Nahrungsmittelindustrie Güte- und Qualitätssiegel auf die Verpackungen geklebt, um verunsicherten Supermarkt-Kunden die Angst zu nehmen. Rote, grüne, eckige, runde Zeichen gibt es nun. Die Botschaft ist immer gleich: Wenn du dieses Zeichen siehst, dann bist du auf der sicheren Seite. Vertrau mir, kauf mich.
Kein Mensch will Lebensmittel, die nicht schmecken oder die mit
Schadstoffen belastet sind. Siegel suggerieren Schutz. Und worauf sie
auch immer pappen mögen: Der Vertrauensbonus des in der Regel
unkundigen Verbrauchers ist den Herstellern sicher. Weil es aber
viele Skandale waren, mussten noch mehr Siegel her. Heute fällt es
selbst Fachleuten schwer, in dieser Flut den Überblick zu behalten.
Unstrittig ist: Keines unter den Dutzenden von Siegeln reicht an die
Anforderungen und Qualitätsstandards des Bio-Siegels heran. Verwendet
werden darf es für Lebensmittel nur dann, wenn 95 Prozent der
verarbeiteten Produkte aus dem ökologischen Landbau stammen.
Gentechnisch veränderte Organismen sind strikt verboten. Das soll
sich ändern.
Die gestrige Entscheidung der EU-Agrarminister, ein EU-Bio-Siegel
mit gelockerten Standards einzuführen, geht in die falsche Richtung.
Künftig wird bei der Herstellung von Bio-Kost eine "unbeabsichtigte
Verschmutzung" mit genetisch veränderten Organismen geduldet, etwa
durch Pollenflug von einem nahe gelegenen Feld. Für den Verbraucher
ist das nicht erkennbar, es steht später auch nicht auf der
Verpackung. Bio also wird weiterhin Bio heißen dürfen, auch wenn
Genfood drin ist. Verstehen muss man das nicht.
Diesem Wischiwaschi-Siegel leistete Bundeslandwirtschaftsminister
Horst Seehofer (CSU) trotz der Bedenken im Bundestag und Bundesrat
nun Geburtshilfe. Ob er sich selbst damit einen Gefallen getan hat,
wird er in den kommenden Monaten erfahren, wenn er als zuständiger
Minister und Vertreter der Verbraucher bei der Vorlage seines neuen
Gesetzes endlich Farbe bekennen muss, ob Deutschland grüne Gentechnik
will oder nicht.
Auch hier geht es um die Frage, wieviel "Verunreinigung" die
Gentechnik-freie Landwirtschaft dulden muss. Für die Bio-Bauern aber
ist das eine Existenzfrage. Denn verschwimmen die Grenzen zwischen
Gen-Landwirtschaft und Ökolandbau, wird Bio zum Allerwelts-Aufkleber.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung