Westdeutsche Zeitung: Das riskante Spiel des Jürgen Rüttgers
Archivmeldung vom 08.02.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMittlerweile geschieht es im Wochenrhythmus: Im Sieben-Tage-Abstand distanziert sich die schwarz-gelbe Landesregierung vom gleichfarbigen Bündnis in Berlin.
Was es in der vergangenen Woche Andreas Pinkwart, der von der Absenkung der Mehrwertsteuer für Hotels nichts mehr wissen wollte, reitet nun der Ministerpräsident höchstselbst eine Attacke auf das Herzstück der Koalitionsvereinbarungen: eine rasche Absenkung der Steuersätze. Zu erklären ist das nur mit den bröckelnden Umfragewerten für Schwarz-Gelb auch in Nordrhein-Westfalen.
Rüttgers beabsichtigt mit seinem Vorstoß zweierlei. Zum einen weiß er, dass die Stimmung im Moment nicht günstig für Steuersenkungen ist, wenn der Staat gleichzeitig Bäder und Theater schließen muss. Indem er das thematisiert, versucht er den Sozialdemokraten ein zentrales Thema wegzunehmen. Und er distanziert sich gleichzeitig deutlich von der FDP, die im Moment tief in der Wählergunst gesunken ist. Das Signal: Ich bin nicht auf Gedeih und Verderb auf die Liberalen angewiesen.
Sicher war es kein Zufall, dass diese Botschaft just an dem Wochenende gesendet wurde, an dem sich die nordrhein-westfälischen Grünen weit für ein Bündnis mit der CDU öffneten.
Aus Sicht der Grünen ist das angesichts der aktuellen Schwäche der SPD verständlich: Im Fünf-Parteien-System ist Flexibilität unerlässlich. Erstaunlich ist nur, wie geräuschlos die Partei den Schwenk vollzog, der vor fünf Jahren noch als undenkbar galt. Zwar ist Schwarz-Grün in vielen Städten, Gemeinden und Kreistagen längst gelebter politischer Alltag, doch auf Landesebene gibt es halt immer noch riesige Unterschiede, etwa in der Bildungs- und der Energiepolitik. Aus dem einst linken Landesverband ist eine Vereinigung der Pragmatiker geworden, der seine Machtchancen ausgesprochen kühl abwägt. Ob das der Wähler gutheißt, bleib abzuwarten.
Auch Rüttgers geht ein Risiko ein. Er hat alles mit verhandelt, was er jetzt ablehnt oder aber stark in Frage stellt. Und er bringt die Kanzlerin gegen sich auf. Dabei wird er sie im Wahlkampf noch bitter nötig haben. Er selbst hat vor zwei Wochen Rückenwind aus Berlin angemahnt. Er selbst segelt gegen den Wind.
Quelle: Westdeutsche Zeitung