Neue Westfälische (Bielefeld): Kreide gefressen
Archivmeldung vom 27.05.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMinisterpräsident Jürgen Rüttgers und seine CDU haben säckeweise Kreide gefressen. Wie der Wolf im Märchen umgarnt der um seinen Job bangende Regierungschef die SPD mit sanfter Stimme und warmherzigen Worten. Vergessen sind die bösen Sprüche, mit denen er der jetzt umworbenen SPD-Chefin Hannelore Kraft vorgeworfen hatte, ihre Erfolgsbilanz als Wissenschaftsministerin passe auf eine Briefmarke, vergessen die Behauptung, er glaube Kraft kein Wort, wenn sie die Linkspartei für nicht koalitions- und regierungsfähig erklärte.
Stattdessen redet Rüttgers, dessen Flexibilität in inhaltlichen Fragen schon vom Noch-Bündnispartner FDP bestaunt wurde, viel von staatspolitischer Verantwortung, der CDU und SPD gerecht werden müssten, und davon, dass es Kraft nicht leicht habe, die unterschiedlichen Forderungen und Wünsche in ihrer Partei unter einen Hut zu bringen. Die Botschaft ist eindeutig: Rüttgers will unter allen Umständen eine große Koalition mit der SPD und ist bereit, dafür nahezu jeden Preis zu zahlen. An seine eigene Partei geht die dringende Mahnung, nicht auf Positionen zu beharren, die noch im Wahlkampf für unverrückbar erklärt worden waren, und sich auf weitestgehende Kompromisse mit der SPD einzustellen. Dem gewieften Taktiker Rüttgers geht der Machterhalt für seine Partei und für sich über das Festhalten an Parteiprogrammen. Hat er sich vor fünf Jahren ohne erkennbaren Widerstand den stramm liberalen Vorstellungen seines damaligen Koalitionspartners FDP gefügt, so kommt er jetzt bereitwillig den völlig entgegengesetzten Forderungen der SPD entgegen. Vom liberalen Dogma "Privat vor Staat" hat er sich schon im Wahlkampf verabschiedet. In der jetzt angestrebten Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten will er sein Image als sozial denkender Landesvater aufpolieren. Die SPD wird sich schwertun, dem Liebeswerben von Rüttgers und der CDU zu widerstehen.
Quelle: Neue Westfälische