Börsen-Zeitung: Wachsende Verunsicherung
Archivmeldung vom 12.03.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas verheerende Erdbeben in Japan hat die Stabilität der Aktienmärkte auf die Probe gestellt. Europaweit gerieten vor dem Wochenende die Indizes unter Druck, weil Investoren sich mit einem weiteren Unsicherheitsfaktor konfrontiert sehen. Steckten Dax & Co. den Umbruch in der arabischen Welt, die Schuldenkrise in der Eurozone und die zunehmende Sorge über einen starken Anstieg der Inflationsrate noch erstaunlich gut weg, droht den Indizes nun also die Konsolidierung, die viele Marktteilnehmer bereits in den zurückliegenden Wochen erwartet hatten.
Der Dax rutschte vor dem Wochenende erstmals seit Mitte Januar wieder unter 7000 Punkte und notiert gerade noch 1% über dem Stand vom Jahresbeginn, der breit gefasste Stoxx Europe 600 zehrte den im laufenden Börsenjahr verbuchten Zuwachs sogar komplett auf. Es ist durchaus denkbar, dass die Risikobereitschaft in den kommenden Wochen weiter abnimmt und die Aktienindizes zeitweise zumindest um weitere rund 5% nachgeben werden.
Druck auf die Notierungen geht in jedem Fall von der Markttechnik aus. Der Dax durchbrach den mittelfristigen Aufwärtstrend, den er im zurückliegenden Herbst begonnen hatte; damals notierte der Index noch rund 1000 Punkte tiefer. Fundamental betrachtet gehört die Sorge der Investoren zurzeit vor allem der Entwicklung an den Rohstoffmärkten. Daran ändern weder die leichte Beruhigung am Ölmarkt noch der Rückgang des Kupferpreises unter 9000 Dollar die Tonne etwas, zumal beides nur temporär Bestand haben dürfte.
Die Lage am Ölmarkt hängt derzeit wesentlich von der politischen Entwicklung in Nordafrika und Nahost ab - ein Ende der Kämpfe in Libyen ist momentan allerdings ebenso wenig absehbar wie ein Stopp der Proteste in weiteren Ländern. Die Verunsicherung bleibt daher hoch. Der Rückgang des Kupferpreises geht vor allem auf die Spekulation darauf zurück, dass japanische Autohersteller ihre Produktion infolge des Erdbebens drosseln müssen und dadurch die Nachfrage des weltweit fünftgrößten Importeurs vorerst spürbar nachlassen wird. In Kürze dürfte der Preis also wieder anziehen und dadurch dazu beitragen, dass sich Marktteilnehmer um die Gewinnentwicklung bei den rohstoffsensitiven europäischen Unternehmen sorgen.
Steht die Hausse an Europas Aktienmärkten knapp zwei Jahre nach ihrem Beginn also vor dem Ende? Oder setzt sich bald wieder der nach wie vor dominierende Konjunkturoptimismus durch? Anlagestrategen, die diese beiden Fragen treffsicher beantworten können, dürften in den kommenden Monaten eine ansprechende Rendite erzielen. Pessimisten wollen jedenfalls bereits klare Signale dafür ausmachen, dass die Firmengewinne im laufenden Jahr bestenfalls stagnieren werden, und sprechen von einem gewaltigen Enttäuschungspotenzial. Optimisten betonen hingegen die Chancen zum Einstieg, die bei einer Konsolidierung der Kurse entstünden, weil sie weiterhin fest von einer kräftig wachsenden Weltwirtschaft im laufenden Jahr ausgehen.
Wirkt die zunehmende Skepsis der Anleger im Sinne der Kontraindikation bereits unterstützend, könnte ausgerechnet vom EU-Sondergipfel und den Beschlüssen der EU-Mitgliedsländer im Kampf gegen die Schuldenkrise ein frischer positiver Impuls ausgehen. Schließlich glauben Marktstrategen vieler Banken nicht mehr daran, dass es den Ländern bis Ende März gelingen wird, einen detaillierten Plan für die Nutzung des Rettungsschirms sowie für einen langfristigen Krisenmechanismus zu beschließen. Gelingt dies aber doch, dürfte dies die Anleger positiv überraschen und das Vertrauen in die Märkte der Eurozone nachhaltig stärken.
Der bevorstehenden Wende in der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank sehen Marktanalysten derweil recht gelassen entgegen. Banken haben in Studien belegt, dass die Aussicht auf eine Leitzinswende in den vergangenen 30 Jahren die Märkte nicht nachhaltig erschüttert hat. Eine Belastung droht erst dann, wenn die kurzfristigen Zinsen sich den langfristigen nähern und Aktieninvestments dadurch weniger attraktiv werden. Dies sollten Investoren im Blick behalten.
Quelle: Börsen-Zeitung