Börsen-Zeitung: Merrills Rettungsanker
Archivmeldung vom 16.11.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAls John Thain Anfang 2004 das Ruder der New York Stock Exchange(Nyse) übernahm, sahen die meisten Beobachter in der altehrwürdigen Institution ein Auslaufmodell. Jetzt, also zum Zeitpunkt des Wechsels von Thain an die Spitze des Brokerhauses Merrill Lynch, gilt Nyse Euronext als schlagkräftiger und weltweit führender Börsenkonzern.
Unterm Blech leidet die Nyse zwar noch immer
unter vielen der alten Probleme. Thain ist es aber zu verdanken, dass
sich der Börsenbetreiber nach der Akquisition von Euronext nach außen
in strahlendem Licht präsentiert.
Thain, so hat man sich offenbar im Merrill-Board gedacht, ist
damit genau der richtige Mann für die Mission, bei der es um nichts
Geringeres als die Rettung des angeschlagenen Wall-Street-Hauses
geht. Er dürfte den Mut zu tiefgreifenden Veränderungen haben. Vor
allem aber könnte es ihm gelingen, den Blick von den schwerwiegenden
Problemen bei Merrill abzulenken. Dem Vernehmen nach ist der
eigentliche Favorit für den Job bei Merrill, BlackRock-Gründer Larry
Fink, leer ausgegangen, weil er gefordert hatte, Merrill müsse
zunächst im Hinblick auf die zahlreichen faulen Assets im Portfolio
reinen Tisch machen. Das kann sich Merrill jedoch derzeit
offensichtlich nicht leisten, was Rückschlüsse auf das Ausmaß der
Schwierigkeiten zulässt. Thain bevorzugt dagegen einen behutsameren
Ansatz: Es werde einige Zeit dauern, bis die Probleme gelöst seien,
ließ er sich bereits vernehmen, wobei er eine Zeitspanne von bis zu
einem Jahr nannte. Der Tiefpunkt sei noch nicht erreicht, mahnte er.
Dem ist zuzustimmen: Merrill hat zwar bereits Abschreibungen auf
Subprime-Assets von 8,4 Mrd. Dollar angekündigt. Analysten rechnen
aber mit weiterem Korrekturbedarf von 10 Mrd. Dollar oder noch mehr.
Daher ist das Rating in Gefahr und das Misstrauen gegenüber dem
veröffentlichten Zahlenwerk groß. Thain hat schon damit begonnen, am
Image seines neuen Arbeitgebers zu feilen: Merrill sei ein "tolles
Unternehmen", das lediglich über "ein Problemfeld" verfüge, in dem er
sich aber gut auskenne, sagte er in einem Interview.
Interessant ist übrigens, weshalb Thain nicht bei der noch deutlich
größeren Citigroup als CEO anheuert. Er wisse nicht, ob irgendjemand
in der Lage sei, die Situation bei der Citigroup zu bewältigen, soll
er angemerkt haben.
Quelle: Pressemitteilung Börsen-Zeitung