Neues Deutschland: zur Protestwelle in Iran
Archivmeldung vom 29.12.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit dem Wiederaufflackern der Proteste in Iran an bestimmten neuralgischen Tagen war zu rechnen. Aber ist das schon eine Volksbewegung, die da gegen Ah ma dine dschad aufsteht? Wenn sie es je werden, also ähnlichen revolutionären Schwung entwickeln sollte wie die letzte iranische Revolution vor reichlich 30 Jahren, die die Schah-Clique hinweg- und die sich wie zu Hause fühlenden US-Amerikaner außer Landes fegte, bräuchte die jetzige Bewegung einiges mehr.
Das betrifft weniger die schiere Zahl der Demonstranten; auch die Islamische Revolution hat mit Protesten weniger hundert angefangen. Aber sie hatte ein glasklares Ziel mit großem Rückhalt in Stadt u n d Land: Weg mit dem Schah und Rückkehr des Religionsführers aus dem Exil. Die heutige iranische Diaspora ist dagegen recht vielstimmig. Wer kann schon sagen, was die originären Forderungen der Exilgruppen sind und was lediglich die von den Gastgeberländern am heftigsten gewünschten? Gerade die lautstärksten Verbände lassen es da an Trennschärfe sehr vermissen, ob in Bezug auf Teherans Atompolitik oder sein Verhältnis zu Israel. Ähnlich ungeklärt ist daher auch die Frage, ob es den Akteuren im Lande um mehr geht als die Auswechselung eines Mannes, der auch zu Hause kaum eine Chance ungenutzt ließ, sich unbeliebt zu machen, und der allen Ärger der großstädtischen Jugend über religiöse Gängelei auf sich projiziert. Die Systemfrage blieb damit bislang ungestellt.
Quelle: Neues Deutschland