Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Haiti-Hilfe
Archivmeldung vom 13.07.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSechs Monate nach dem schweren Beben in Haiti hat es beeindruckend viel Soforthilfe für 1,5 Millionen Obdachlose und 300 000 schwer verletzte Mensch gegeben. Das gilt es ohne Abstriche zu würdigen. Aber zugleich tun sich Probleme auf, die geeignet sind, das Interesse und die Zuneigung der Welt gegenüber dem Armenhaus der Karibik zu erschüttern. Korruption, Unfähigkeit und der Egoismus einzelner Haitianer vergiften die große Hilfsbereitschaft.
Während auf der untersten Ebene die Befähigung zur Selbsthilfe funktioniert, wird es um so diffiziler, je höherrangig die Projekte angesiedelt sind. Die Weltgemeinschaft, die im März elf Milliarden US-Dollar zusagte, ist in Schwierigkeiten geraten. Es gilt, das große Geld so einzusetzen, dass es bei den kleinen Leute ankommt. Geradezu grotesk ist, dass bis zur Stunde nicht genügend Grund und Boden gefunden wurde, um rund um die Millionenmetropole Port-au-Prince Zeltstädte, Übergangslager und Krankenstationen für Hunderttausende zu errichten. In anderen Ländern nach anderen Katastrophen ist das gelungen. Warum also nicht in Haiti? Das Land hat bei allen Verlusten in der Verwaltung und in den Ministerien immerhin demokratisch gewählte Bürgermeister, Provinzräte und einen Präsidenten. Dennoch fehlen auch sechs Monate nach der Katastrophe grundlegende Entscheidungen über die schnelle Abwicklung von Hilfslieferungen, die Anlage verlässlicher Grundbücher, das künftige Schulsystem und den Neuanfang im Gesundheitswesen. Nach dem Tsunami 2004, einzige Katastrophe der Neuzeit vergleichbarer Größenordnung, haben viele asiatische Staaten pragmatische Lösungen gefunden. Nicht so Haiti. Es gibt Gründe, weshalb der Westen mit der Ausstellung seiner großartigen Spendenchecks zögert. Nach zuverlässigen Berichten wird auf fast allen staatlichen Ebenen die Hand aufgehalten. Rechtsstaaten könne das nicht akzeptieren. Rechnungshöfe und Ausführungsvorschriften verlangen rigoros Transparenz. Noch heikler liegen die Dinge für die Hilfsorganisationen, die den korrekten Einsatz von Spendengeldern garantieren. Dringend benötigte Hilfsgüter stehen schon mal wochenlang im Zoll. Ohne Zahlungen »under table«, so das weltweit geläufige Schlüsselwort, geht nichts. Jahrzehntelang wurden die Haitianer von ihren eigenen Politikern und Beamten in tiefster Armut gehalten. Deshalb darf das von einer Naturkatastrophe schwer geschlagene und spürbar dezimierte Volk jetzt nicht schon wieder dieser Ausbeuterkaste ausgeliefert werden. Den Vereinten Nationen, nicht unerfahren im Umgang mit korrupten Systemen, bleibt ein allerletztes Mittel - die Einsetzung eines hohen Kommissars, der sich über die reguläre Regierung hinwegsetzt. Die Zeit für einen Putsch der Helfer ist noch nicht gekommen, aber sie reift heran.
Quelle: Westfalen-Blatt