Leipziger Volkszeitung zu Steinmeier/Kurnaz
Archivmeldung vom 24.01.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.01.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAussage steht gegen Aussage und der Ton wird rauer. Auf der einen Seite ist da der hochexplosive Vorwurf aus dem CIA-Sonderausschuss des EU-Parlaments, gerichtet an die Adresse der alten rot-grünen Bundesregierung. Demzufolge sollen die USA schon 2002 Deutschland angeboten haben, den türkischstämmigen Bremer Murat Kurnaz aus dem Gefangenenlager Guantánamo freizulassen. Berlin habe dies allerdings abgelehnt und so das Martyrium des Bremers in Kauf genommen.
Mit Blick auf den moralischen Anspruch einer offiziell ganz strikt an
den Menschenrechten orientierten Außenpolitik wäre das somit der
nachträgliche Beweis, dass Rot-Grün die Wähler doch belogen hat. Weil
dann der knappe Wahlsieg von Kanzler Schröder im Herbst 2002 auch
unter Vorspielung falscher Tatsachen erschlichen wurde.
Den Anschuldigungen aus Brüssel steht die scharfe Replik aus Berlin
gegenüber. Überraschend kommt das nicht. Frank-Walter Steinmeier, als
Kanzleramtschef unter Rot-Grün für die Arbeit der Geheimdienste
zuständig, zieht in den Stellvertreter-Kampf. Schröder, Fischer,
Schily - sie alle sind als politisch Verantwortliche von damals heute
nicht mehr greifbar. Nur der in Umfragen auf der Popularitätsskala
oben stehende Außenminister eignet sich als Mitverantwortlicher für
die Aufarbeitung. Auch deshalb fallen die Reaktionen so heftig aus.
Da scheint einem zu dämmern, dass die Causa Kurnaz für ihn zum
persönlichen Verhängnis werden könnte. Sollten sich die Kritikpunkte
des CIA-Sonderausschusses bewahrheiten, könnte es für Steinmeier ganz
eng werden. Sein Amt steht auf dem Spiel. Zumal schon in der letzten
Woche nach dem Kurnaz-Auftritt vor dem BND-Untersuchungsausschuss des
Bundestages starke Zweifel an der Lauterkeit von Rot-Grün aufgekommen
waren.
Nun lässt sich darüber streiten, ob die damalige Regierung für einen
gebürtigen Türken ohne deutschen Pass die Fürsorgepflicht hätte
übernehmen müssen. Vielleicht wäre ja auch eine Weiterdelegierung der
Verantwortung Richtung Ankara ohne Gesichtsverlust möglich gewesen.
Mit Sicherheit ein juristischer Grenzfall in der Schattenwelt der
Geheimdienste.
Politisch ist die Lage dagegen eindeutig. Eine Regierung, die die
Praktiken von Guantánamo zurecht an den Pranger gestellt hat, hätte
alles tun müssen, um den Bremer aus dem Lager zu holen. Noch ist der
eindeutige Beweis für die Mitverantwortung von Rot-Grün an den
Kurnaz-Folterungen nicht erbracht. Die Verdachtsmomente sind
mittlerweile aber so brisant, dass Steinmeier nicht auf Zeit spielen
sollte. Im BND-Untersuchungsausschuss muss er Farbe bekennen. So
schnell wie möglich und nicht erst Ende März, wenn der Fall Kurnaz in
der öffentlichen Wahrnehmung nach hinten gerückt ist.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung