WAZ: Vorwahlkampf in den USA
Archivmeldung vom 09.06.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAm Ende des amerikanischen Vorwahlkampfes ist Hillary Clinton eine tragische Figur. Man kann ihre Bitterkeit verstehen: Sie hätte unter allen normalen Umständen und gegen jeden anderen Konkurrenten die Kandidatur ihrer Partei gewonnen und wäre jetzt auf dem besten Wege gewesen, die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden.
Nie zuvor hat ein Kandidat im Vorwahlkampf so viele Stimmen bekommen wie sie: fast 18 Millionen. Das allein zeigt, wie stark und erfolgreich sie war. Nur gegen das politische Epochen-Phänomen Barack Obama, der eine machtvolle, junge Bewegung in Gang gesetzt hat, konnte Hillary Clinton nicht gewinnen.
Es ist ihr nicht leicht gefallen, den Kampf um die
Präsidentschafts-Kandidatur aufzugeben. In der vergangenen Woche
wollte sie noch weiterkämpfen, als es längst aussichtslos geworden
war. Jetzt, mit ein paar Tagen Verzögerung (und unter erheblichem
Druck von Parteifreunden und Finanziers) hat sie es doch getan. Und
wie von ihr nicht anders zu erwarten war, hat sie auch das bravourös
gemacht, mit tadelloser Rhetorik, mit Leidenschaft, aber ohne
Selbstmitleid.
Wieviel von diesem Versöhnungsgestus von Herzen kommt, und
wieviel kaltes politisches Kalkül ist - darüber kann man nur
spekulieren. Richtig ist, dass es für sie keine Alternative mehr gab.
Hätte sie Obama die Unterstützung verweigert und - auf welche Weise
auch immer - versucht, den Kampf fortzusetzen, wären auch viele ihrer
treusten Anhänger von der Fahne gegangen.
Und für die vertiefte Spaltung der Partei, vielleicht auch für die
Niederlage Obamas im November, hätte man immer sie verantwortlich
gemacht. So aber kann sie nun für sich in Anspruch nehmen, alles für
die Partei gegeben zu haben. Das kann ihr in Zukunft noch nützen.
Bleibt die Frage: Wird Hillary Clinton nun
Vizepräsidenten-Kandidatin? Schon seit Monaten gibt es dazu
Falschmeldungen aller Art. Mal hieß es, sie habe ihre Zusammenarbeit
angeboten - was Nonsens ist, da die Verliererin nichts anzubieten
hat. Mal hieß es, sie wolle gar nicht Vizepräsidentin werden - was
sie so nie gesagt hat.
Richtig ist: Die Frage ist offen, und nur Barack Obama kann sie
beantworten. Er wird sich bewusst sein, dass Clinton ein großes
Wählerpotenzial mitbringen würde; und er wird wissen, dass er sich
eine ehrgeizige Frau zur Seite stellt, die nach wie vor Präsidentin
werden will. So gesehen, spricht mindestens soviel gegen Hillary
Clinton als Vizepräsidentin wie für sie sprechen mag.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Markus Günther)