Westdeutsche Zeitung: Griechenland
Archivmeldung vom 27.04.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Schlagzeilen können der Kanzlerin nur recht sein, mehr noch - sie sind von ihr wohlkalkuliert. "Merkel erhöht den Druck auf Athen", heißt es zum Beispiel, oder: "Merkel lässt die Griechen zappeln." Wenn die Kanzlerin hier als Zuchtmeisterin auftritt, hat dies tatsächlich wenig mit der tatsächlichen Ausprägung der griechischen Sparmoral zu tun. Nein, Merkel verfolgt damit vor allem innenpolitische Ziele.
Viele Menschen im Land sind entsetzt, dass ausgerechnet "Madame No", die sich bis zuletzt auf europäischer Ebene gegen Hilfen für den verschuldeten Staat sträubte, in den nächsten Wochen Milliarden-Kredite auf den Weg bringen will. Die griechische Finanzkrise droht für Merkel zum PR-Desaster zu werden. Ausgerechnet vor der Richtungswahl in Nordrhein-Westfalen kursieren immer neue Horror-Zahlen über das tatsächliche Ausmaß der Schulden-Katastrophe. Dabei unterschlagen Merkels politische Gegner gern das Wort Kredit, und so steht der Vorwurf im Raum: Für Griechenland macht ihr leichtfertig Milliarden locker, aber die Zukunft der Kinder in Deutschland spart ihr kaputt. Merkels demonstrative Härte gegenüber Athen ist ihre Rechtfertigung: Nein, lautet ihre Botschaft, der deutsche Staat hat kein Geld zu verschenken; er gewährt seine Kredite erst dann, wenn eine solide Grundlage für deren Rückzahlung geschaffen ist. Merkel muss derzeit aber nicht nur beim Wähler für Glaubwürdigkeit werben, damit in den kommenden Wochen eine gesetzliche Grundlage für die Finanzhilfen geschaffen wird. Sie kann sich derzeit nicht einmal einer Mehrheit innerhalb der Regierungskoalition sicher sein. Wenn die Kanzlerin heute mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank vor die Bundestagsfraktionen tritt, dann deshalb, weil dieser ihr Argumentationshilfe geben soll. Zweifellos wird er eine bittere Wahrheit aussprechen, an der besonnene Gemüter schon längst nicht mehr zweifeln: Wenn Griechenland keine Kredite erhält, wird der Staat pleite gehen und die europäische Währungsunion tief erschüttern. Die Kanzlerin hätte es einfacher haben können. Durch ihre viel zu lange durchgehaltene Blockade-Haltung in Brüssel hat sie erst die Zweifel an den Finanzhilfen gesät, die sie nun erntet.
Quelle: Westdeutsche Zeitung