WAZ: Aus für Bochum - Der finnische Subventions-Vagabund
Archivmeldung vom 16.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUnd wieder zeigt die Marktwirtschaft ihre hässlich-brutale Fratze. Das Vorgehen des finnischen Nokia-Konzerns bei der Schließung des Standorts Bochum erinnert fatal an den Fall Siemens/BenQ, wo sich Manager alle Mühe gegeben haben, den Betroffenen das Gefühl zu vermitteln, sie seien bloß Bauern auf dem Schachbrett der Globalisierung.
Gewiss, betriebswirtschaftliche Entscheidungen sind oft hart.
Gleichwohl ist diese Nacht-und-Nebel-Schließaktion in ihrer
kühlstkalkulierenden Art und Weise zu verurteilen. So kann sich nur
ein Konzern verhalten, der die Zelte im Lande D abbricht und sich
seiner Marktmacht so bewusst ist, dass er Kundenbeziehungen für ewig
hält. Noch gestern Nachmittag waren nicht alle Mitarbeiter über den
drohenden Verlust ihres Arbeitsplatzes informiert. So schafft man
kein Vertrauen in ein Unternehmen, geschweige denn in die
Marktwirtschaft.
Apropos Marktwirtschaft. Der schale Beigeschmack, den Nokia
hinterlässt, hat mit Marktwirtschaft vergleichsweise wenig zu tun:
Mit 60 Millionen Euro hat sich der Steuerzahler an Rhein und Ruhr an
dem Bochumer Werk beteiligt, der Bund legte nochmal 28 Millionen
drauf - ein Viertel der Gesamtkosten des Werkes. Kaum ist die
fünfjährige Frist für das Verlagerungsverbot abgelaufen, ziehen die
Subventions-Vagabunden weiter gen Osteuropa. Und die
Nokia-Verantwortlichen haben noch die Dreistigkeit, den Standort zu
bemängeln.
Das EU-Förderregime ist, wie es ist. Gut ist es nicht, und die
allzu leichtfertige Vergabe von Beihilfen treibt Staaten in eine
unselige Abhängigkeit. Verantwortliche Unternehmensentscheidungen
fielen anders aus, wenn zumindest Standortverlagerungen über einen
längeren Zeitraum ausgeschlossen wären als die lächerlichen fünf
Jahre, die heute gelten. BenQ Mobile kassierte ebenfalls Steuergeld
vom Land.
Wahr bleibt auch: Der Kostendruck bei vergleichsweise einfachen
Tätigkeiten ist enorm. Hier liegen die größten Herausforderungen für
Politik, Gewerkschaften und verantwortlich agierende Unternehmen.
Opel, wie Nokia in Bochum ein Hoffnungsschimmer auf dem Weg durch den
Strukturwandel, hatte 2004 seine Krise. Können Unternehmen in
Deutschland noch Autos in Massenfertigung produzieren?, lautete die
besorgte Frage. Sie können. Bei Opel waren harte Einschnitte nötig,
jetzt aber ist das Bochumer Werk einigermaßen stabil. Der Fall Nokia
zeigt mitten in der Aufschwungseligkeit: Deutschland muss nach wie
vor hart an sich arbeiten.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Thomas Wels)