Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) schreibt zur Türkei:
Archivmeldung vom 13.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSollte es dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan bei seinem Auftritt in Deutschland wirklich darum gegangen sein, eine Brücke des Vertrauens zu schlagen, so muss man konstatieren, dieser Versuch ist kläglich gescheitert.
Im Gegenteil: Erdogan hat sich mit seiner Warnung an die in Deutschland lebenden Türken vor einer Assimilation, also einer Aufgabe ihrer kulturellen Identität, nicht nur in empörender Weise in innerdeutsche Angelegenheiten eingemischt. Ein Vorgehen, dass sich Ankara noch im Fall des lange Zeit in einem türkischen Gefängnis sitzenden Deutschen Marco zu Recht verbeten hatte. Nein, Erdogan hat mit seinem Vorwurf, Deutschland strebe eine zwangsweise Eingliederung der hier lebenden Türken in die Gesellschaft an, alte Vorurteile belebt - auf beiden Seiten. Das Bemühen, die immer noch kleine Pflanze des Vertrauens zum Blühen zu bringen, hat einen herben Rückschlag erlitten. Ob bewusst oder ungewollt, der türkische Premier hat der Integration einen Bärendienst erwiesen. Natürlich weiß auch Erdogan, dass türkische Einwanderer ihre Identität bei der Einreise nach Deutschland nicht an der Grenze abgeben müssen. Niemand hindert sie daran, hier weiterhin türkisch zu sprechen und ihre eigene Kultur zu pflegen. Doch wenn ich mich in Deutschland integrieren will, muss ich doch auch alles daran setzen, die deutsche Sprache zu lernen, muss auch Ja sagen zu Deutschland und zu unseren Werten. Und wenn ich dann auch noch die deutsche Staatsangehörigkeit annehme, was ist daran verwerflich, wenn ich mich assimiliere? Das haben schon viele Deutsche getan, die in die USA oder anderswo hin ausgewandert sind. Und das ist auch gut so. Erdogan ist noch eine Erklärung schuldig und muss die von ihn ausgelösten Missverständnisse klarstellen. Die Tatsache, dass in den vergangenen Jahrzehnten bei der Integration von deutscher Seite viele Fehler gemacht worden sind, ist nicht zu leugnen. Doch die Parallelgesellschaften in Berlin und anderen deutschen Städten sind nicht deshalb entstanden, weil sich die türkischen Mitbürger zu schnell angepasst hätten und gar dazu gezungen worden wären. Da ist es gut, dass Erdogan in diesen Tagen auch einmal der Spiegel vors Gesicht gehalten wird. Dass die vermeintliche Assimilation der türkischen Einwanderer in Deutschland ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei, erweise sich vor dem Hintergrund der Unterdrückung eigener ethnischer und religiöser Minderheiten in der Türkei als scheinheilig, sagte der Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde in Deutschland. Erdogan hat auf türkischer und deutscher Seite manch unbedachte Äußerung provoziert, die besser nicht gesagt worden wäre. Das heißt aber nicht, dass nicht Klartext geredet werden darf. Man muss nicht gleich die EU-Beitrittsverhandlungen in Frage stellen. Aber im Klartext gesagt: Recep Tayyip Erdogan muss noch viel über Europa lernen.
Quelle: Westfalen-Blatt