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Mittelbayerische Zeitung: zu Fukushima/Energiewende

Archivmeldung vom 12.03.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.03.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Es gibt zwei Ereignisse des frühen 21. Jahrhunderts, die sich schon jetzt ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Das eine ist der Einsturz der Zwillingstürme in New York am 11. September 2001. Das andere ist die Kernschmelze im japanischen Atomkraftwerk Fukushima am 11. März 2011. Beide markieren einen Wendepunkt. Nach diesen Katastrophen kann und wird nichts mehr so sein, wie es einmal war. "9/11" hat die Illusion einer Welt ohne ideologische Konflikte beendet. Fukushima steht für das Ende eines Glaubens an technischen Fortschritt, der frei verfügbar ist, ohne dass dafür ein Preis gezahlt werden muss - interessanter Weise mehr noch als Tschernobyl.

Damals, 1986, ereignete sich der Super-GAU in einer anderen Welt, hinter dem Eisernen Vorhang. Die Wahrheit kam erst spät ans Licht, die Auswirkungen waren zunächst unklar. Dafür waren sie direkt erlebbar, als Eltern ihre Kinder nicht mehr auf Spielplätze schicken durften, als Ausflügler lernen mussten, dass es im Wald nicht nur Pilze, sondern auch Cäsium zu finden gibt. Es gibt Parallelen zwischen dem, was vor 25 Jahren und was vor einem Jahr geschah. Auch in Fukushima war die Wahrheit dehnbar, portionierbar geworden, drang erst spät das volle Ausmaß der Katastrophe an die Öffentlichkeit. Dafür aber dann mit voller Wucht. Zwei miteinander verbundene Faktoren sind es, die das Reaktorunglück des 11. März entscheidend für die Geschichte machen: Die Flut der Bilder und die Tatsache, dass "es" auch im Hochtechnologieland Japan geschehen konnte. Schrecken wird vor allem dann real für diejenigen, die ihn nicht erleben, wenn er sichtbar ist. Die Welt wurde in unendlich vielen, oft zufällig gemachten Videos Zeuge von der Dreifachkatastrophe aus Erdbeben, Tsunami und Super-GAU. Aber es ist vor allem das Bild der Explosion des Kraftwerks, das - ähnlich dem Bild, das den Einschlag der Passagiermaschine ins World Trade Center am 11. September 2001 zeigt - , Schockwellen bis nach Berlin entsandte. Die Frage ist nach wie vor, ob die Reaktion darauf in Deutschland die richtige war oder nicht. Haben wir "überreagiert" oder hat die restliche Welt, das restliche Europa, "unterreagiert"? Warum müht sich Deutschland mit einer Jahrhundertaufgabe ab, während im Ausland der Atomboom ungebremst weitergeht? Was nützt es, wenn die Bundesrepublik atomkraftfreie Zone wird, wenn an den Grenzen die Nachbarstaaten fleißig weiter Kernkraftwerke aufstellen? Nichts, möchte man meinen. Doch das ist zu kurz gedacht. Deutschland hat in diesem von einer kurzen, aber heftigen Kälteperiode heimgesuchten Winter erlebt, wie eng es werden kann, wenn wirklich nur mehr erneuerbare Energien unsere Stromversorgung sicherstellen. Das mag auch nur deswegen funktioniert haben, weil es andere Länder gibt, deren (nukleare) Kraftwerke Überschüsse produzieren. Aber es läuft besser als befürchtet. Und wir sind noch nicht am Ende des Weges angekommen. Fukushima kann nur als das gedeutet werden, was es war: als Beleg für die Unbeherrschbarkeit einer Technologie. Selbst in Japan, das den technischen Fortschritt der Neuzeit so entscheidend mitgeprägt hat wie kaum ein anderes Land, war es den Technikern und den politisch Verantwortlichen nicht möglich, die Katastrophe zu vermeiden oder einzugrenzen. Es gibt keinen Plan für den Super-GAU: Die Steigerung des "größten anzunehmenden Unfalls", also das Außer-Kontrolle-Geraten, ist ein statistisch zu kleiner Fall, um ihn ins Kalkül zu ziehen - zumindest bis Fukushima. Aber während bei einem Flugzeugabsturz die Rechnung mit der Unbekannten aufgehen mag - soundsoviele Menschen fliegen täglich, während nur soundsowenige sterben bei Abstürzen - ist das bei Atomkatastrophen nicht möglich. Das Fortleben des Schreckens des Super-GAUs erleben die Menschen in der Ukraine bis in die x-te Generation. Ja, es ist richtig: Deutschland hat sich vielleicht das Leben selbst schwer gemacht, indem es der Welt vormachen will, wie ein modernes Land ohne Kernkraft auskommen kann. Aber neben allem Unsinn, der unter Schwarz-Gelb beschlossen wurde, ist der Atomausstieg eine bemerkenswerte Leistung. Er ist, was in der Politik selten geworden ist: eine Vision. Visionäre sind immer zuerst alleine. Damit müssen wir im Interesse unserer Kinder und Kindeskinder leben. Sie werden es uns einmal danken.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung (ots)

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