Südwest Presse: Kommentar zu Kurdistan
Archivmeldung vom 25.10.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.10.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Türkei hat, was den irakischen Teil Kurdistans betrifft, ein Interesse, das gerechtfertigt erscheint, und eines, das höchst zweifelhaft ist. Beide muss man im Lichte des Vorratsbeschlusses des türkischen Parlaments betrachten, das der Regierung zugebilligt hat, im Laufe eines Jahres dort Krieg führen zukönnen.
In den Kandil-Bergen im irakisch-iranisch-türkischen Grenzgebiet,
einer zerklüfteten Hochgebirgsregion, hat sich seit 20 Jahren auf
irakischem Gebiet die türkisch-kurdische PKK eingenistet. Sie hat
dort ihre Trainingslager und Rückzugspositionen, von denen aus sie -
in letzter Zeit verstärkt - zu Überfällen auf die türkische Armee
jenseits der Grenze aufbricht. Es ist eine ideale Guerillagegend,
unzugänglich für reguläres Militär mit schweren Waffen, aus der Luft
nur unzureichend aufzuklären und im langen Winter durch den
meterhohen Schnee zusätzlich vor Angriffen geschützt, während das
Gebiet mit seiner wilden Blütenpracht im Frühjahr zu den schönsten
Augenweiden der Welt gehört. Das türkische Interesse, die Machthaber
im Irak mögen den von dort ausgehenden schmerzhaften Nadelstichen ein
Ende bereiten, ist nachvollziehbar.
Doch wer hat die Macht im irakisch-kurdischen Hochland? Es ist das
Stammland des Kurdenführers Massud Barsani, der in Arbil als
kurdischer Regionalpräsident residiert. Seinen Peschmerga fehlt es
gewiss nicht an Mut, sich mit der PKK anzulegen, aber an Gründen.
Zwar gibt es keine auf gemeinsamer Volkszugehörigkeit beruhende
Loyalität - die Kurden denken in Stammesverbänden -, aber die PKK
macht ja keinen Ärger im Irak, im Gegenteil: Ihre Anwesenheit ist ein
Schutz gegen das Einsickern iranisch geschulter Gotteskrieger.
Außerdem beschäftigen die PKK-Verbündeten von der iranisch-kurdischen
"Partei für freies Leben in Kurdistan" (PJAK) die iranische Armee im
Grenzgebiet, was Barsani auch nicht ungelegen ist.
Die irakische Armee ist viel zu schwach, um im gebirgigen Norden
anzugreifen. Auch der Armee Saddam Husseins ist das nie gelungen, sie
griff deswegen zum Mittel des Terrors und der Vertreibung in
Kurdistan. Bleiben die USA als Ordnungsmacht. Sie unterliegen der
Täuschung, die von ihnen aus anti-iranischen Gründen unterstützte
PJAK habe nichts mit der PKK zu tun, die von den USA
zutreffenderweise als Terroristenbande eingestuft wird. So kommt die
PKK an US-Waffen, die an die PJAK adressiert sind, was das ohnehin
belastete türkisch-amerikanische Verhältnis auch nicht einfacher
macht.
Immerhin hat der Beschluss des türkischen Parlaments nun
diplomatische Aktivitäten ausgelöst, die ein Stillhalten der PKK und
der türkischen Armee hervorgebracht zu haben scheinen. Die Gefahr
eines türkischen Einmarsches scheint vorerst gebannt zu sein, sie ist
es damit bis zum Frühjahr, aber keinesfalls für immer.
Denn die PKK wird auf Dauer keine Ruhe geben. Ihr Daseinszweck ist es
schließlich, die türkische Unrechtsherrschaft im türkischen Teil
Kurdistans durch eine eigene zu ersetzen. Und die Türkei - damit
kommen wir zu ihrem zweiten Interesse - verfolgt den Aufbau eines
funktionierenden kurdischen Gemeinwesens im Irak mit Argwohn und der
Sorge, das könne die türkischen Kurden auf den Geschmack bringen.
Weitere PKK-Angriffe vom Irak aus wären da ein guter Grund, die
Kurden im Irak gründlich zu destabilisieren und zu den Ölfeldern bei
Kirkuk im alten osmanischen Velayat Mossul vorzustoßen.
Quelle: Pressemitteilung Südwest Presse