Berliner Morgenpost: Linkes Aufmucken vor dem Superwahljahr
Archivmeldung vom 04.12.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn der Berliner SPD hat man in diesen Tagen ein Déja-vu: Nicht schon wieder, hört man aus Parteikreisen. Der Koalitionspartner, die Linke, hat am Wochenende einen Parteitag - und prompt einen neuen Streit angezettelt.
Die Linkspartei will dem Erbschaftsteuer-Kompromiss nicht zustimmen. Sie will die Erben von Betrieben und größeren Vermögen stärker belasten. Berlin müsste sich laut Koalitionsvertrag dann bei der Abstimmung im Bundesrat enthalten. Bei nur einer Stimme Mehrheit für CDU und SPD, die den Kompromiss ausgehandelt hatten, wird die Reform insgesamt eine wackelige Angelegenheit für die große Koalition. Der Berliner SPD kommt die Verweigerungshaltung der Linken bekannt vor. Als der Europa-Vertrag von Lissabon im Bundesrat zur Abstimmung und auch ein Parteitag anstanden, führte die kleinere Linke die stärkere SPD am Nasenring über die politische Bühne. Ausgerechnet die deutsche Hauptstadt enthielt sich als einziges Bundesland. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat dieses Aufmucken seines Koalitionspartners und die damit verbundene öffentliche Demütigung nicht vergessen. Im neuerlichen Verweigerungsfall stehen die Dinge aber etwas anders. Die Erbschaftsteuerreform hat für die Linkspartei keinen so hohen symbolischen Stellenwert wie der Europa-Vertrag. Auch wenn sich das Thema wunderbar für die Profilierung im eigenen Wählerklientel der zu kurz Gekommenen und Benachteiligten eignet: hier die Reichen, die dank des Erbschaftskompromisses reich bleiben dürfen; da die Armen, denen wegen der geringeren Einnahmen staatliche Wohltaten verweigert werden müssen. Dabei vergisst die Linke, dass das Vermögen, das vererbt wird, ohnehin in der Regel schon mehrmals versteuert wurde. Auch in der strukturell linken Berliner SPD halten viele den Kompromiss zur Erbschaftsteuer nicht für überzeugend. Aber da bis Jahresende wegen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eine Reform her muss, zeigen sich die Sozialdemokraten für die anstehende Bundesratssitzung staatstragend und erwarten, dass der Koalitionspartner doch noch zustimmen wird. Denn sonst würde die Hauptstadt wegen des gerichtlich erzwungenen Wegfalls der Erbschaftssteuer ab 2009 pro Jahr 240 Millionen Euro verlieren. Für ein symbolisches Nein will wohl niemand in der Linkspartei einen so hohen Preis zahlen. Das störrische Verhalten des Koalitionspartners zeigt, dass der Vorwahlkampf für das Superwahljahr 2009 begonnen hat. In den nächsten Monaten wird sich die Linke vor der Bundestags- und den Landtagswahlkämpfen auf Kosten der SPD profilieren. Man muss aber kein Prophet sein, um zu prognostizieren, dass die rot-rote Koalition auch diese Belastungen aushalten wird. Denn für Wowereit und Co. geht es um die politische Zukunft: Berlin als linkes Musterland - für neue, rot-rot-grüne Koalitionsüberlegungen auf Bundesebene nach 2009.
Quelle: Berliner Morgenpost