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Börsen-Zeitung: Notgeburt

Archivmeldung vom 28.05.2019

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.05.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Not kennt kein Gebot. In der Autoindustrie wird das Sprichwort zum Motto der Stunde. So sind die Erzrivalen Daimler und BMW ob der Herausforderungen bei Mobilitätsdiensten und beim autonomen Fahren über ihren Schatten und in die Arme des jeweils anderen gesprungen.

Nun könnte mit dem Zusammenschluss von Renault und Fiat Chrysler (FCA) eine neue Zweckgemeinschaft hinzukommen. FCA befindet sich schon seit Jahren erfolglos auf Brautschau. Der verstorbene CEO Sergio Marchionne hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass FCA allein auf Dauer zu klein sei. Mit der Übernahme von Chrysler hatte er dem Unternehmen lediglich Zeit erkauft.

Mit der Übernahme von Opel durch die französische PSA hat sich der strukturelle Nachteil von Fiat in Europa aber weiter verschärft. Das Unternehmen hängt ohnehin von der US-Tochter Chrysler und deren SUV-Marke Jeep ab, die Marchionnes Nachfolger Mike Manley zu neuer Blüte geführt hatte. Das Amerika-Geschäft steht bei FCA für mehr als 90 Prozent des Gewinns. In Europa spart Fiat derweil schwindenden Marktanteilen hinterher. Die Sparpolitik hat dazu geführt, dass das Unternehmen beim Thema Elektromobilität blank dasteht und sich auf einen Ablasshandel mit dem Elektroautobauer Tesla einlassen musste, um die strenger werdenden EU-Vorgaben zum CO2-Ausstoß zu erfüllen. Hinzu kommt, dass trotz der Sparmaßnahmen kein großer Wettbewerber operativ je Auto zuletzt weniger verdient hat als der italienisch-amerikanische Konzern.

FCA hat also gute Gründe, sich unter das Dach der Franzosen zu flüchten. Marchionne hat vor Jahren mit der Chrysler-Übernahme gezeigt, wie man die temporäre Notlage eines Wettbewerbers für einen vorteilhaften M&A-Deal nutzt. Sein Nachfolger Manley hat offenbar gut aufgepasst und unterbreitet nun Renault ein verlockendes Angebot. Just in dem Moment, in dem die Zukunft von Renaults Autobauerallianz mit Nissan in der Schwebe hängt.

Dem möglichen Deal haftet derweil das Problem an, das schon die Übernahme von Chrysler hatte: Mit Renault und FCA fänden zwei Autobauer zusammen, die beide in Sachen Profitabilität den Wettbewerbern hinterherhinken. Je Auto verdient Renault kaum mehr als FCA. Auch die Skaleneffekte bleiben überschaubar. Ohne Nissan und Mitsubishi würde die fusionierte Renault-FCA im Vergleich zur bisherigen Allianz deutlich schrumpfen. Nur mit den Japanern entstünde ein echter Champion. Was bisher präsentiert wird, ist nur eine Notgeburt.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Sebastian Schmid

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