Westdeutsche Zeitung: Hat Steinkohle tatsächlich keine Zukunft?
Archivmeldung vom 07.02.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSteinkohle und Nordrhein-Westfalen - über Jahrzehnte war dies eine hochemotionale Verbindung. Kohle stand für Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, die Ruhrfestspiele für eine Verbeugung der Nation vor dem Revier. Noch 1997, vor dem letzten Kohlekompromiss, bildeten Hunderttausende eine Menschenkette von Moers bis Lünen.
Davon scheint nichts geblieben. All der öffentliche Streit vor dem
Kohlegipfel in Berlin kann nicht verdecken: Es geht der Politik nur
noch um das Datum des Totalausstiegs, nicht mehr um das Ob. Es
regieren die emotionslosen Buchhalter, und deren Zahlen sind klar.
Rund 2,6 Milliarden Euro Subventionen fließen in die acht
verbliebenen Zechen, jeder Arbeitsplatz wird mit 70 000 Euro
unterstützt. Herausgeworfenes Geld also.
Tatsächlich? Wir wollen nur am Rande an die milliardenschweren
EU-Agrarbeihilfen erinnern, deren größter Profiteur das britische
Königshaus ist, und in deren Folge ganze Volkswirtschaften in der
Dritten Welt vor die Hunde gehen. Nun rechtfertigt gewiss der eine
Unfug nicht den nächsten. Und die Verfechter der Agrarsubventionen
finden wunderbare Erklärungen für deren Notwendigkeit. Aber hat die
Kohle, deren Subventionen nur einen Bruchteil der Agrarbeihilfen
ausmachen, nicht ebenso bedenkenswerte Begründungen auf ihrer Seite?
Die fossilen Energieträger Öl und Gas werden in 80 Jahren erschöpft
sein, schätzen die Experten. Die Steinkohle reicht für 200 Jahre.
Deutsche Steinkohle wird aus Tiefen unter 1600 Meter abgebaut,
südafrikanische oder kanadische bis 600 Meter Tiefe. Mit deutscher
Fördertechnik übrigens, einer Hochtechnologie, die weltweit noch
immer führend ist. In 20, spätestens 30 Jahren aber wird der
geologische Vorteil der Konkurrenten entfallen oder stark geschrumpft
sein. Und damit auch deren Preisvorteil. Steigen wir aber jetzt aus
der Kohle aus, verlieren wir nicht nur den Zugriff auf die Lager,
sondern auch den Exportschlager Bergbautechnik.
Die Forderung nach einem deutschen "Sockelbergbau" zu vertretbaren
Kosten, vor wenigen Jahren noch Konsens, ist also so abwegig nicht.
Nicht als nostalgisches Industriemuseum, sondern als Sicherung einer
Hochtechnologie, die - unter schon heute absehbar geänderten
Rahmenbedingungen - durchaus energiepolitisch eine sinnvolle
Zukunftsoption sein kann. Bei allem Respekt vor den aktuellen Nöten
der Finanzpolitiker: Sollte das nicht bei der Entscheidung über die
Steinkohle auch eine Rolle spielen?
Quelle: Pressemitteilung WESTDEUTSCHE ZEITUNG